Gyne 01/2021 Kreative Schreibtherapie im medizinischen Kontext
Gyne 03/2016 – Für immer müde? Fatigue bei Krebspatienten – Erscheinungsformen, Ursachen, Behandlung
Gyne 03/2016
Für immer müde? Fatigue bei Krebspatienten
Erscheinungsformen, Ursachen, Behandlung
Autorin: Susanne Ditz
Der Begriff „Fatigue“ wurde aus dem französischen und englischen Sprachgebrauch ins Deutsche übernommen. Eine Definition aus den USA von David F. Cella lautet: „Die Tumorerschöpfung, auch Fatigue genannt, bedeutet eine außerordentliche Müdigkeit, mangelnde Energiereserven oder ein massiv erhöhtes Ruhebedürfnis, das absolut unverhältnismäßig zu vorangegangenen Aktivitätsänderungen ist“ [1]. Die Tumor-assoziierte Fatigue (Cancer-related fatigue, CrF) ist nicht selten eine alles überschattende, subjektive Erfahrung, die den gesamten Tagesablauf beeinträchtigen kann. Viele PatientInnen scheinen darunter mehr zu leiden als unter Schmerzen oder psychischen Begleiterscheinungen. Ihr chronischer Verlauf reduziert die Lebensqualität der Betroffenen erheblich, kann zu verminderter Therapietreue und sogar zum Abbruch der Behandlung führen.
Es werden drei Dimensionen der CrF unterschieden:
- die physische
- die emotionale und
- die kognitive Müdigkeit
Dieser multisymptomatische Zustand der Erschöpfung tritt bei Krebspatienten häufig in Zusammenhang mit oder nach systemischen Therapien auf sowie während oder nach Bestrahlungen, kann aber auch im Krankheitsverlauf ohne diese entstehen. Die Ausprägung des CrF ist ebenso individuell wie seine Dauer und abhängig von der Ausgangssituation (körperlicher/ mentaler Status), der psychischen Grundhaltung und der individuellen subjektiven Wahrnehmung.
Prävalenz der CrF
Die Dominanz von Fatigue wird in der Literatur sehr divergierend beschrieben und ist abhängig vom Fatigue-Diagnoseinstrument, dem Erkrankungszeitpunkt und der Tumorentität [2, 3, 4]. Bei der Interpretation epidemiologischer Zahlen zur Tumor –assoziierten Fatigue ist zu bedenken, dass CrF zwar durch eine charakteristische Gruppe von Symptomen gekennzeichnet ist, aber keine nosologische Einheit darstellt. In epidemiologischen Studien wird daher die Häufigkeit der CrF mit Hilfe von Selbsteinschätzungsfragebögen untersucht. Da allerdings sehr unterschiedliche Fragebögen eingesetzt werden und die Feststellung, ab welcher Ausprägung die angegebenen Beschwerden als CrF betrachtet werden, nicht einheitlich sind, schwanken die Ergebnisse zur Prävalenz zum Teil erheblich. In einer Längsschnittuntersuchung einer repräsentativen Stichprobe in Deutschland zur CrF wiesen 32 % der Krebspatienten bereits bei stationärer Aufnahme, 40 % bei Entlassung und 36 % nach 6 Monaten, deutlich stärkere Müdigkeits- und Erschöpfungssymptome auf als eine gesunde Vergleichsgruppe. Fatigue wurde in dieser Studie mit der sog. „Multidimensional Fatigue Inventory“ (MFI) gemessen (Subskala „generelle Fatigue“ [5].
Erklärungsmodell
Es gibt kein einheitliches Erklärungsmodell über die genauen Ursachen tumorassoziierter Fatigue. Alle Erklärungsmodelle zur Ursache und Entstehung von Müdigkeits- und Erschöpfungssyndromen gehen von einem multifaktoriellen und multikausalen Geschehen aus [6]. Bei der CrF können diese durch den Tumor bedingt oder Folge der Therapie sein; aber auch Ausdruck einer genetischen Disposition, begleitender somatischer oder psychischer Erkrankungen, wie auch verhaltens- oder umweltbedingter Faktoren. Damit ergibt sich eine breite Palette möglicher Ursachen und Einflussfaktoren somatischer, affektiver, kognitiver und psychosozialer Art, die zu der gemeinsamen Endstrecke Fatigue führen.
Als zugrunde liegende pathophysiologische Faktoren werden diskutiert:
- Störungen der zirkadianen Melatoninsekretion und des Schlaf-Wach-Rhythmus
- Dysregulation inflammatorischer Zytokine
- Veränderungen im serotoninergen System des ZNS
- Störung hypothalamischer Regelkreise sowie
- Genpolymorphismen für Regulationsproteine der oxidativen Phosphorylierung der Signaltransduktion in B-Zellen, der Expression proinflammatorischer Zytokine und des Katecholaminstoffwechsels [7].
Symptome und Erfassung
Fatigue kann als Sammelbegriff verstanden werden, der eine Vielfalt vonMüdigkeitsmanifestationen umfasst, welche sich in überwiegend physische, aber auch in affektive und kognitive Sensationen klassifizieren lassen ( Tab. 1). Entsprechend der Leitlinie des National Comprehensive Cancer Network (NCCN) sollte im Rahmen der onkologischen Betreuung Symptome der Erschöpfung oder Müdigkeit bei allen TumorpatientInnen gezielt exploriert werden. Dabei sollte beachtet werden, dass die subjektiv geäußerten Beschwerden häufig nicht objektivierbar sind; wenn doch, erreichen sie selten den von PatientInnen geäußerten subjektiven Schweregrad. Ergänzend zur Objektivierung kann das Führen eines Symptomtagebuchs empfohlen werden. Als Screeninginstrumente lassen sich eine lineare Analogskala (LASA-Skala Bereich 0-10) oder dafür geeignete diagnostische Fragebögen einsetzen [8]. Die zentrale Rolle in der diagnostischen Vorgehensweise nimmt das anamnestische Gespräch ein, in welchem genau die Art, Ausprägung und der zeitliche Verlauf der Beschwerden erfragt und auf mögliche Zusammenhänge mit vegetativen Funktionen geachtet werden sollte, wie z. B.:
- Körperliche Aktivität
- Schlafverhalten
- Medikation
- Gebrauch von Genuss- und Rauschmitteln
Kriterien klinischer Diagnostik von Fatigue
Fatigue wird bei Krebspatienten oft nicht erkannt oder zu wenig beachtet. Von der American Fatigue Coalition wurde ein Symptomkatalog veröffentlicht, um die Erfassung von Fatigue zu vereinheitlichen. Zur Feststellung einer CrF kann dieser Kriterienkatalog wie folgt herangezogen werden: Sechs (oder mehr) der elf in Tab. 2 aufgeführten Symptome bestanden täglich bzw. fast täglich während einer Zwei-Wochen-Periode im vergangenen Monat und mindestens eines der Symptome ist deutliche Müdigkeit (A1). Wenn sechs der aufgeführten Symptome vorliegen, gilt ein Fatigue-Syndrom als gesichert. Dabei müssen die Kriterien B, C und D vom behandelnden Arzt beurteilt werden.
Ursachen und differentialdiagnostische Abklärung
Grundsätzlich müssen sich Arzt und Patient darüber im Klaren sein, dass es nicht immer gelingt, der Müdigkeit eine greifbare Ursache zuzuordnen. Bei der differentialdiagnostischen Abklärung müssen somatische Erkrankungen von Leber, Niere, Endokrinum und Knochenmark ebenso ausgeschlossen werden wie tumorbedingte Ursachen (z. B. Schmerz, Mangelernährung, Elektrolytstörungen etc.,Tab. 3). Die Erfahrung im Umgang mit CrF-Patienten zeigt, dass bei vielen keine eindeutige psychosoziale oder somatische Ursache identifiziert werden kann. Dies darf aber nicht dazu führen, dass die Beschwerden von Ärzten und Therapeuten als nicht „legitim“ abgetan werden. Vielmehr ist es gerade in diesen Situationen wichtig, die Symptome und Belastungen ernst zu nehmen und Gesprächs- und Handlungsbereitschaft zu signalisieren.
Fatigue und/oder Depression erkennen
Neben Angst stellt Depression die häufigste seelische Begleiterkrankung bei malignen Tumorleiden dar. Aus therapeutischer Sicht erscheint es notwendig, bei Patienten mit einer Müdigkeitssymptomatik zu unterscheiden, welcher Anteil daran auf eine primäre Tumorfatigue zurückgeht, in wieweit sich eine depressive Entwicklung dahinter verbirgt oder ob beide Aspekte zusammenwirken. Die differentialdiagnostische Abgrenzung von der Depression und/oder der depressiven Krankheitsverarbeitung fällt häufig schwer. Der Übergang ist eher fließend, da nahezu jedes Merkmal des chronischen Fatigue-Syndroms auch bei der Depression wieder zu finden ist. Die Tumorentität und die Art der Behandlung können dabei Anhaltspunkte geben. Es wurde festgestellt, dass Fatigue bei Patienten mit depressiver Stimmungslage häufiger und mit größerer Intensität auftritt, aber auch, dass Fatigue eine Depression induzieren und verstärken kann. Eine klare Unterscheidung zwischen Depression und Fatigue ist somit nicht immer vollständig möglich. Die Vorgeschichte des Patienten gibt Hinweise darauf, in wieweit es bereits früher Episoden einer depressiven Verstimmung gegeben hat oder ob das Müdigkeitsgeschehen erstmalig im Kontext der Tumorerkrankung aufgetreten ist und einer depressiven Verstimmung vorausging. Wenn die Antriebsminderung stark ausgeprägt ist und andererseits auffällige Tendenz zur Selbstentwertung mit Suizidgedanken vorliegt, spräche diese Symptomatik für ein depressives Geschehen. Überwiegend körperlich empfundene Erschöpfung und Schwäche trotz ausreichenden Schlafes sind eher charakteristisch für das Fatigue-Syndrom. Das Vorliegen von Depressionen in der Anamnese, betonte Antriebsminderung, fehlende Motivation, Schlaflosigkeit, tageszeitliche Schwankungen, Tendenz zur Selbstentwertung, schuldhafte Verarbeitung und Suizidalität sind richtungweisend für das Vorliegen einer Depression [9]. Zudem können psychische Faktoren wie starke Ängste in Bezug auf die Erkrankung, eine fehlende Unterstützung in der Familie oder Partnerschaft, drückende finanzielle Sorgen oder anderer schwerer Kummer den Patienten so belasten, dass er in einen starken Erschöpfungszustand gerät. Die Symptome der Fatigue können auf eine hintergründige Depression („Erschöpfungsdepression“) oder Angststörung hinweisen und/oder sich mit den Symptomen einer körperlichenErschöpfung überlappen. In nahezu allen Untersuchungen korrelieren Müdigkeits- und Erschöpfungssymptome mit denen einer Depression . Das ist nicht verwunderlich , weil Ermüdbarkeit und Antriebsmangel zu den Hauptsymptomen depressiver Störungen zählen. Für die rasche und sensitive Erkennung einer depressiven Störung als mögliche Ursache einer CrF empfiehlt sich in der Praxis der „2-Fragen-Test“.
Frage1: „Fühlten sie sich im letzten Monat häufig niedergeschlagen, traurig, bedrückt oder hoffnungslos?“
Frage 2: „Hatten sie im letzten Monat deutlich weniger Lust und Freude an Dingen, die sie sonst gerne tun?“
Wenn beide Fragen mit „Ja“ beantwortet werden, liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit eine depressive Störung vor, die weitergehend abgeklärt und behandelt werden sollte [10]. Manchmal bedarf es auch erst der Verlaufsbeobachtung unter therapeutischen Maßnahmen, um klarer zwischen Depression und Fatigue unterscheiden zu können.
Fatigue und/oder Depression behandeln
Aus therapeutischer Sicht erscheint es heute notwendig, bei Patienten mit einer Müdigkeitssymptomatik eindeutig zu differenzieren. Welcher Anteil geht dabei auf eine primäre Tumorfatigue zurück und inwieweit verbirgt sich eine depressive Entwicklung dahinter? Oder wirken sogar beide Aspekte zusammen? So ist vielfach beobachtet worden, dass Fatigue bei Patienten mit depressiver Stimmungslage häufiger und stärker ausgeprägt auftritt und tatsächlich eine Depression induzieren oder verstärken kann. Interventionsstudien mit Antidepressiva haben bislang keine Verbesserung der CrF gezeigt und sollten deshalb nur bei klarer Abgrenzung beziehungsweise eindeutiger Depressions-Diagnose eine Behandlungsmöglichkeit darstellen.
Multimodale Therapieansätze von Fatigue
Durch normale Erholungsmechanismen, wie z. B. Schlaf, lässt sich die Tumorerschöpfung nicht beheben. Entscheidend für die effektive Behandlung sind interdisziplinäre Therapiestrategien. Für Teilaspekte von Fatigue gibt es vielversprechende Behandlungsansätze, doch bisher war es nicht möglich eine umfassende Therapie zu entwickeln, mit der Fatiguebetroffene Patienten zufriedenstellend behandeltwerden können. So multifaktoriell die Symptome der Fatigue beschrieben werden, so unterschiedlich sind auch die therapeutischen Ansätze. Je nach Ursache ist ein Behandlungsplan aufzustellen, der die besonderen individuellen Gegebenheiten des Betroffenen berücksichtigt (Tab.3). Körperliche oder psychische Erkrankungen mit dem Begleitphänomen Fatigue müssen gezielt kausal behandelt werden [11]. Zur Behandlung der CrF werden aktuell Medikamente mit sehr unterschiedlichen Wirkprinzipien eingesetzt [12]:
- Bluttransfusionen,
- die Erythropoese stimulierende Faktoren,
- Psychostimulantien (z. B. Methylphenidat oderModafinil),
- Kortikosteroide
Körperliches (aerobes) Training
In allen Phasen der Krebserkrankung ist ab dem Zeitpunkt der Diagnosestellung bis zur palliativen Situation für Patienten, die dazu in der Lage sind, dosiertes Bewegungstraining unter kontrollierten Bedingungen indiziert. Die Deutsche Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention (DGSP) und die Deutsche Krebsgesellschaft e.V. (DKG) haben bereits 2011 Richtlinien für die Gestaltung von Trainings-und Sportprogrammen für Tumorpatienten veröffentlicht. Sport- und Bewegungstherapie vermindert Fatigue, steigert die Immunabwehr, regt die Blutbildung an, beugt Infektionen vor, erhält die Muskelmasse und verbessert die Herz-Kreislauf-Funktion. Die Komorbidität kann durch regelmäßige Bewegung verringert, die Verträglichkeit der Therapiemaßnahmen verbessert werden. Darüber hinaus korreliert die physische Aktivität von Krebspatienten in einigen Studien mit einer verringerten Rezidivrate [13] Insgesamt kann durch Sport- und Bewegungstherapie die Lebensqualität erhöht werden.
Dennoch wird auch heute nochPatienten aufgrund der Belastung durch die Krebserkrankung und deren Behandlung von einer zu starken körperlichen Aktivität abgeraten. Dies führt in Folge dessen zu Bewegungsmangel und zu einer Abnahme der körperlichen Leistungsfähigkeit mit folgenden Symptomen
- Verringerung der Muskelmasse und des Plasmavolumens
- Reduzierung der in der Muskelmasse gespeicherten chemischen Energieträger
- Abnahme der kardiorespiratorischen Leistungsfähigkeit
Aufgrund der schnelleren Erschöpfbarkeit reduzieren Betroffene häufig die körperliche Aktivität weiter und vermindern damit ihre Leistungsfähigkeit.So entsteht ein gefährlicher Teufelskreis aus den Nebenwirkungen der medizinischen Behandlung und den negativen Folgen des Bewegungsmangels. Körperliches (aerobes) Training als therapeutische Maßnahme gegen Fatigueist daher klar indiziert [14]. Besonders die Effizienz eines aeroben Ausdauertrainings wie z. B. Walken, Nordic Walken, Joggen, Aquatraining und Schwimmen zur Behandlung des Fatigue-Syndroms konnte in verschiedenen Studien bestätigen werden [15]. Aerobes Training ist inzwischen ein etablierter Ansatz zur Behandlung eines krankheitsbedingtenLeistungsverlustes. Es erfüllt drei Voraussetzungen:
- Große Muskelgruppen werden bewegt
- die Belastungsintensität liegt zwischen 70 bis 80 % der maximalen Belastbarkeit (die Energiebereitstellung erfolgt über den aeroben Stoffwechsel)
- die Belastung erstreckt sich über eine ausgedehnte Zeit
In Deutschland liegen bislang nur wenige konkrete Übungsprogramme vor, die eigenständig von den Betroffenen durchgeführt werden können. Die Empfehlung liegt bei mindestens 30 Minuten Ausdauersportarten, wie z. B. schnelles Gehen, Joggen oder Fahrradfahren an mindestens fünf Tagen pro Woche [15].. Adaptiert an den Behandlungsstatus (Operation, medikamentöse Therapie oder Strahlentherapie) sollte in Zusammenarbeit mit erfahrenen Physiotherapeuten und Sportwissenschaftlern ein spezielles patientenindividuelles Programm erstellt werden. Das Training sollte langsam beginnen und möglichst Flexibilitäts-, Ausdauer-, Kraft- und Koordinationskomponenten in Abhängigkeit von der Krankheitsphase, dem Trainingsziel und den individuellen physischen Möglichkeiten der Patienten enthalten [16].
Etabliert ist das Übungsprogramm „Fitness trotz Fatigue – Bewegung und Sport bei tumorbedingtem Müdigkeitssyndrom“, welches von der „Deutschen Fatigue Gesellschaft“ in Zusammenarbeit mit der „Rehabilitationswissenschaftlichen Abteilung der Sportschule Köln“ entwickelt wurde. Zwar haben sich Sport- und Bewegungsprogramme als unterstützende Maßnahmen während oder unmittelbar nach der Behandlung etabliert, aber sind bisher noch nicht flächendeckend in die onkologische Versorgung integriert.
Psychoonkologische Beratung und Begleitung
Die Psychoonkologische Beratung vermittelt Betroffenen mit Fatigue-Syndrom einerseits Sachinformationen, wie z. B. zu demKrankheitsentstehungsmodell sowiezu den Ursachen, Formen unddemVerlauf der Fatigue und ist andererseits als Orientierungshilfe anzusehen. Ziel ist es, den Patienten dabei zu unterstützen, seinen Lebensstil und Lebensführung an die veränderten individuellen Bedingungen anzupassen (Anleitung zur Verhaltensänderung). Die Beratung zur Prävention oder Linderung der Fatigue beinhaltet u. a.:
- Hilfe bei der Umstrukturierung des früher normalen Tagesablaufes. Besonders die Tätigkeiten, die Energie kosten, müssen in die energetischen Hochphasen verlegt werden und sich mit Ruhephasen oder Energiespendern abwechseln (Stundenplan nach Aktivitätsniveau, strukturierte tägliche Routine, Prioritäten im Leben setzen). Der Einsatz eines Fatiguekalenders bietet dabei die Möglichkeit, die tageszeitlichen Energiekurven kennenzulernen und zu nutzen. Als Energiespender kommen beispielsweise Meditation und Yoga in Betracht.
- Einbeziehen der Angehörigen in die Erarbeitung der verschiedenen Bewältigungsformen. Die Erschöpfung in ihren unterschiedlichen Ausprägungen stellt nicht nur für die Patienten, sondern auch für ihre Partner, Familie und Freundeskreis eine große Herausforderung dar. Gemeinsam können Muster erarbeitet werden, wie im täglichen Leben die Kräfte sinnvoll eingeteilt und Energie eingespart werden kann.
- Information zur Schlafhygiene, zur Stimuluskontrolle und zur Einteilung des Schlafes (z. B. keine langen Schlafperioden nachmittags, regelmäßig zu Bett gehen, kein Koffein etc.). Etablierung eines regelmäßigen Schlafrhythmuses, der beim Versagen allgemeiner Maßnahmen ggf. mittels Medikamenten zum Ein- bzw. Durchschlafen reguliert werden kann.
- Anleitung zu Erholung und zum bewussten Einsatz von Ablenkungsstrategien: z. B. Naturerlebnisse, Musik hören, Spiele etc. verbessern das Konzentrationsvermögen und die Problemlösefähigkeit (kognitive Fatigue).
- Aufklärung über Schulungsmaßnahmen bei der Einschränkung kognitiver Fähigkeiten (das Gehirn sollte wieder an Denkprozesse gewöhnt werden, einfache schulische Maßnahmen scheinen hier weiterzuhelfen).
- Ernährungsberatung mit dem Ziel, Mangelernährung zu vermeiden oder zu behandeln (adäquate Nährstoffzufuhr, Elektrolytbalance, Flüssigkeitszufuhr).
- Beratung der Patienten zur körperlichen Aktivitätssteigerung (u. a. Anleitung und Training zu aeroben Sportarten).
Die Anerkennung des Erschöpfungszustands als Befindlichkeitsstörung von Krankheitswert ist Basis für die psychoonkologische Beratung und Behandlung von Betroffenen mit Fatigue-Syndrom. Für die Patienten ist die Einordnung von Fatigue im Kontext der Erkrankung sowie der sozialen Rollen und der Persönlichkeit von größter Bedeutung. Erst wenn der Betroffene dieses Symptom als erkrankungs- und therapiebedingt akzeptieren kann, wird er sich von schuldhafter Verarbeitung und Kränkung distanzieren können. Auf dieser Grundlage können im Weiteren individuelle Bewältigungsstrategien erarbeitet werden.
Psychoonkologische Interventionen: Motivationspsychologische Prinzipien
Grundlage der psychoonkologischen Interventionen von Patienten mit Fatigue-Syndrom sind die folgenden motivationspsychologischen Prinzipien:
- Stärkung des Selbstmanagements. Die Patienten werden selbst in die Lage versetzt, das Maß an Selbstbestimmung und Autonomie im Zusammenhang mit dem Problem Fatigue zu erhöhen und eigene Ressourcen zu nutzen. Die Patienten erleben, dass sie zur Verbesserung ihrer Situation etwas beisteuern können.
- Steigerung der Selbstwirksamkeitserwartung. Die Selbstwirksamkeitserwartung wird durch direkte Erfahrung gestärkt, indem sich die Patienten realistische Ziele setzen, die Umsetzung selbst überwachen und nach einem Feedback ihre Ziele oder ihr Vorgehen anpassen.
- Ressourcenorientierung. Die Patientenwerden ermuntert, stärker als bisher sich ihrer Ressourcen bewusst zu werden und sie zu nutzen.
- Einbeziehung des beruflichen und sozialen Umfelds (Partner, Familie und Freundeskreis).
Psychoonkologische Interventionen: Bewältigungsstrategien
Zielsetzung der psychoonkologischen Begleitung ist es, die Alltagshandlungsfähigkeit und Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Psychoonkologische Interventionen beim Fatigue-Syndom fokussieren vor allem auf:
- Problemwahrnehmung. Die Patienten sollen die Fatigue als Problem wahrnehmen und die Hintergründe kennen.
- Konsequenzen erkennen. Die Patienten sollen die Auswirkungen von Fatigue auf ihren Alltag und ihre sozialen Beziehungen erkennen.
- Motivationsarbeit. Die Patienten sollen zur Änderung von Verhaltensweisen unter Berücksichtigung ihrer individuellen Bedürfnisse und Möglichkeiten motiviert werden.
- Selbstwirksamkeitserwartung. Die Patienten sollen erkennen, dass sie selbst etwas zur Linderung der Fatigue und zur Verbesserung des Umgangs mit den von der Fatigue verursachten Einschränkungen beitragen können.
- Handlungsplanung. Die Patienten sollen sich sowohl Ziele setzen, als auch deren Umsetzung planen und in Angriff nehmen.
- Handlungskontrolle. Die Patienten prüfen die Umsetzung und berichten über Erfolge und Hindernisse bzw. Probleme.
Psychoedukative Schulungsprogramme
Die Wirksamkeit strukturierter Schulungsprogramme bei CrF wurde bisher nur wenig untersucht [17]. Es mangelt an prospektiven Untersuchungen mit ausreichend hohen Fallzahlen, die psychoedukative Schulungsprogramme evaluieren [18]. Spezifische Schulungen, die dem Bedürfnis der Patienten nach gezielter Aufklärung und Information entgegenkommen und die tumorbedingte Fatigue reduzieren sowie die Lebensqualität der Betroffenen steigern sollen, sind in Deutschland derzeit (noch) nicht etabliert. Hier besteht eine erhebliche Versorgungslücke! Es ist z. T. bekannt, dass vorhandene Informationsmaterialien Patienten entweder nicht erreichen oder die Information ohne eindeutige Anleitung nicht angemessen individuell umgesetzt werden können. Die Einführung eines spezifischen Schulungsprogramms könnte einerseits durch angemessene Information und andererseits durch individuelle Hilfestellung und praktische Anleitung bei der Umsetzung, d.h. bei der Verhaltensänderung der Betroffenen, zukünftig Abhilfe schaffen.
Zusammenfassung
Fatigue ist ein häufiges, vielfach stark unterschätztes Syndrom bei Tumorpatienten. Die Ursachen und die Entstehung der CrF sind komplex. Sie ist gekennzeichnet durch abnehmende Leistungsfähigkeit, Vermeidung von Anstrengung, Inaktivität, fehlende Regeneration, Hilflosigkeit und Herabgestimmheit. Die Betroffenen finden nur schwer aus diesem Teufelskreis heraus. Die vollständige Beeinträchtigung des Patienten spiegelt die Multidimensionalität dieses Phänomens wieder. Die Wahrnehmung von Fatigue-Manifestationen und das alltägliche Screenen – respektive die Nachfrage nach Müdigkeit – sollte routinemäßig zur onkologischen Versorgung gehören.
Ein umfassendes Angebot zur Behandlung der multifaktoriell ausgeprägten Fatigue einschließlich der psychischen, emotionalen und kognitiven Facetten fehlt bisher im klinischen Alltag. Für Teilaspekte von Fatigue gibt es inzwischen vielversprechende Therapieansätze, doch fehlt aktuell ein umfassender Therapieansatz, mit der Fatigue zufriedenstellend behandelt werden kann. Die Therapie gliedert sich in Aufklärung, praktische Hilfestellungen, Umstellung der Lebensgewohnheiten und medikamentöse Ansätze. Dabei sollten die Angehörigen der Patienten unbedingt mit eingebunden werden, um die Akzeptanz zu erhöhen und so den Therapieerfolg zu sichern.
Vorhandene Informationsmaterialien erreichen die Betroffenen häufig nicht. Insbesondere fehlen strukturierte psychoedukative Schulungs- bzw. Interventionsangebote, um spezifisches Wissen zu vermitteln und Anleitung zu Verhaltensänderungen zu geben.
Weiterführende Informationen
Deutsche Fatiguegesellschaft e.V.
Maria-Hilf-Straße 15
50677 Köln
T +49 221 9311596
www.deutsche-fatigue-gesellschaft.de
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