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Gyne 05/2017 – Über Sexualität sprechen- ein heißes Eisen für die junge Patientin mit einer gynäkoonkologischen Erkrankung?

Gyne 05/2017
Über Sexualität sprechen- ein heißes Eisen für die junge Patientin mit einer gynäkoonkologischen Erkrankung?

Autorin: Dr. med. Susanne Ditz

Ein warmer Sommerabend an einem See: Ein junges Paar, das sich erst seit kurzem kennt, sitzt eng umschlungen auf einer Bank, scheint dieWelt um sich herum zu vergessen, küsst sich zärtlich. So romantisch das Bild auf den ersten Blick aussieht, irgendetwas stimmt nicht. Die junge Frau ist nervös und angespannt. Sie kann sich diesem schönen Moment nicht einfach hingeben, obwohl sie nichts mehr will als das. Verzweifelt sucht sie nach den richtigen Worten und dem richtigen Zeitpunkt, um diesem Mann etwas zu offenbaren: eine für sie intime und unangenehme Enthüllung. Etwas ist bei ihr anders als bei anderen Frauen und dies setzt sie unter Druck: Sie hat eine Längsschnittnarbe. Vor 2 Jahren wurde bei ihr ein Zervixkarzinom diagnostiziert und behandelt. Sie hat Angst davor es ihm zu sagen, vor seiner Reaktion und davor, dass der schöne Abend danach vielleicht abrupt zu Ende sein könnte.

Besondere Lebenssituation der jungen Patientin

50% der Frauen die jünger als 40 Jahre sind, erfahren eine deutliche Einschränkung ihres Selbstwertgefühls und ihrer Sexualität nach der Diagnose eines gynäkologischen Tumors und den sich daraus ergebenden notwendigen Therapiemaßnahmen [1, 2]. Die besondere Situation junger Patientinnen mit gynäkologischen Tumoren verbunden mit der selteneren Inzidenz, schlechteren Prognose und höherer Betroffenheit des Behandlungsteams, stellt eine besondere Herausforderung für jedes gynäonkologische Zentrum, jede behandelnde Abteilung, jede Praxis, aber vor allem für die Patientin und ihr Umfeld dar. Spezielle Fragestellungen, die den Lebensabschnitt der jungen Frauen betreffen, fordern ein hohes Maß an Beratungskompetenz, besonders bezüglich Familie, Partnerschaft, Sexualität, Fertilität, Kinderwunsch, ggf. bestehende Schwangerschaft, Betreuung von (Klein)-Kindern, Kommunikation mit den Kindern, beruflicher Status, finanzielle Absicherung. Das Leben der jungen Frau ist zumeist durch viele Anforderungen und Veränderungen geprägt. Viele leben nicht, oder erst seit kurzem in einer Partnerschaft. Einige sind noch nichtmit ihrer Ausbildung oder einem Studium fertig. Andere trifft die Diagnose Krebs, wenn sie zu Beginn ihres Berufslebens stehen und die Erkrankung sie in ihrer Karriere zurückwirft. Viele betroffene Frauen kümmern sich neben ihrem Beruf um Kinder und den Haushalt. Patientinnen unter 40 Jahren werden allein aufgrund ihres Alters oft unabhängig
von der vorhandenen Tumorbiologie als Hochrisikogruppe betrachtet und einer aggressiven Therapie zugeführt. Obwohl anfangs die Heilung der Krebserkrankung an erster Stelle steht, so ist die psychosoziale Rehabilitation im Verlauf insbesondere
bei jungen Frauen von großer Bedeutung. Angesichts der existienziellen Bedrohung durch die Krebserkrankung konzentrieren sich die Patientinnen zunächst auf
die anstehende Therapie und die damit verbundenen körperlichen Veränderungen. Sexualität ist weder für die betroffene Frau noch für uns Ärztinnen und Ärzte zu diesem Zeitpunkt ein Thema. Im weiteren Verlauf allerdings hat Sexualität einen
hohen Stellenwert für die Lebensqualität der Patientinnen und verdient, gerade weil Auswirkungen der durchgeführten Therapie auf die Sexualität sehr wahrscheinlich
sind, große Beachtung in der Therapieplanung und der weiteren medizinischen Betreuung.

Therapiemaßnahmen hinterlassen Spuren

In den vergangenen Jahren wurden bei gynäkologischen Malignomen schonendere Operationstechniken entwickelt, die die körperliche Integrität weniger verletzen. Eine operative onkologische Therapie hinterlässt Narben und möglicherweise auch Funktionseinschränkungen. Die Notwendigkeit der Anlage eines Anus praeter oder einer Neoblase kann die Patientin in ihrem Selbstwertgefühl und in ihrer weiblichen Identität stark beeinträchtigen. Aus Schamgefühl kann ein Rückzug nicht nur sozial, sondern auch in der Partnerschaft erfolgen. Die Wahrnehmung der eigenen Attraktivität ist durch die Krebserkrankung nicht selten zutiefst erschüttert. In dem Organverlust sehen viele Frauen – ob bewusst oder unbewusst – den Verlust ihrer Weiblichkeit. Für die betroffene Patientin stellt sich die Frage: „Werde ich mit dem so veränderten Körper noch attraktiv und begehrenswert sein oder mich fühlen können? Objektiver Befund und subjektive Befindlichkeit können deutlich auseinanderklaffen. Vorstellungen über das eigene Körperbild scheinen einen direkten Einfluss auf den Wunsch nach sexueller Aktivität und die Frequenz des Geschlechtsverkehrs zu haben.

Jüngere Patientinnen haben, unabhängig vom Operationsmodus eine höhere Wahrscheinlichkeit sexuelle Probleme nach gynäkologischen Karzinomen zu entwickeln [3]. Zu den komplexen Folgeerscheinungen gehören Erregungs- und Orgasmusstörungen, Dyspareunie, Vaginismus und vor allem Störungen des sexuellen Verlangens, die sich gegenseitig bedingen können (Abb.1).

Die operative Entfernung der Ovarien führt bei prämenopausalen Frauen zu frühzeitiger Menopause, begleitet von abnehmendem sexuellen Verlangen und vaginaler Trockenheit. Dieses Fehlen von Empfänglichkeit für sexuelle Aktivität, der Mangel oder das Fehlen von sexuellen Gedanken führt nicht selten zu Schwierigkeiten in der Partnerbeziehung.
Radikale Operationstechniken, die z. B. beim Ovarialkarzinom notwendig sind, bergen ein erhebliches Problem: 75%der Frauen berichteten nach der Operation über Schwierigkeiten einen Orgasmus zu bekommen. Ob dies durch die Schwere der Erkrankung, die Chemotherapie oder durch die pelvine und paraaortale Lymphonodektomie bedingt ist, ist zurzeit noch nicht geklärt [4].

Serati et al. zeigten, dass Patientinnen nach radikaler Hysterektomie, unabhängig vom Operationsmodus, also auch wenn sie laparoskopisch durchgeführt wurde, eine signifikant geringere Sexualfunktion in Bezug auf Lubrikation, Erregung und Orgasmus aufwiesen, als die Kontrollgruppe gesunder Frauen [5].

Infokasten 1:
Operation, Strahlentherapie und/oder Chemotherapie und/oder Hormontherapie als Ursache einer sexuellen Dysfunktion bei jungen Patientinnen mit gynäkoonkologischen Tumoren.

  • Hormonabfall
  • Pharmakologische Nebenwirkungen
  • Nebenwirkungen der Chemotherapie und Strahlentherapie
  • Neurologische und vaskuläre Einschränkungen im kleinenBecken
  • Direkte Folgeerscheinungen an den Sexualorganen durch die Operation

Beim Zervixkarzinom kann die meist durchgeführte radikale Hysterektomie mit Entfernung einer Scheidenmanschette und Entfernung der lokalen Lymphknoten den Geschlechtsverkehr durch Verkürzung oder Verengung der Vagina erschweren [6]. Nach einer Strahlentherapie im Genitalbereich, wie z.B. bei der Therapie des Zervixkarzinoms, kommt es häufig nicht nur zu vaginaler Atrophie, sondern auch zu vaginalen Verklebungen, Strikturen und Trockenheit. Diese Veränderungen führen nach einer Studie von Jensen et al. zwei Jahre nach Bestrahlung bei 55% der Patientinnen, die aufgrund eines Zervixkarzinoms behandelt wurden, zu milder bis starker Dyspareunie und bei 35 %zu mäßigem bis starkem Mangel an Feuchtigkeit der Vagina [7].

Eine Vulvektomie bei invasivem Vulvakarzinom verändert die Anatomie und die Funktion der äußeren Genitalien gravierend [8]. Gefühle von Unvollständigkeit kann langanhaltend die Sexualität einschränken, neben den körperlichen Folgeerscheinungen.

Nicht nur die Operation kann zu Störungen des Körperbildes führen, sondern auch körperliche Veränderungen durch eine Chemotherapie wie Alopezie, Blässe, Ödeme oder häufig Gewichtszunahme [9]. Auch wenn diese Veränderungen reversibel sind, können sie doch nachhaltig das Gefühl stören, attraktiv und begehrenswert zu sein. Dazu kommen direkte Auswirkungen der Chemotherapie und der antihormonellen Therapie wie vaginale Atrophie, Lubrikationsstörungen und verminderte Libido [10].

Eine große Belastung stellen insbesondere für junge, sehr aktive Frauen, die häufig auftretende Fatigue und/oder kognitive Einschränkungen wie Gedächtnis- und Konzentrationsprobleme dar. Mit der Fatigue verschwindet in der Regel auch das sexuelle Verlangen. Junge Krebspatientinnen leiden verstärkt unter Progredienzangst [11]. Stress, Progredienzangst und andere Folgen der Erkrankung stellen eine Belastung für eine Partnerbeziehung und für die Sexualität dar. Alle diese Faktoren – Körperbildstörungen, Störungen sexueller Funktionen, psychosoziale Probleme und Belastung der Partnerschaft – verursachen zusammengenommen eine sexuelle Dysfunktion ([12];Infokasten 1 und 2).

Infokasten 2:
Psychosoziale Einflussfaktoren, die eine sexuelle Dysfunktion bei jungen Patientinnen mit gynäkoonkologischen Tumoren verursachen/mitbedingen können.

  • Emotionale Belastungsreaktionen
  • Belastung der Partnerschaft und Familie
  • (Progredienz-)Angst
  • Depression
  • Körperbildstörung
  • Selbstwertprobleme
  • Fatigue
  • Finanzielle Sorgen
  • Berufliche Einschränkungen

 

Jung, Krebs – sprachlos?!

Gynäkologische Malignome stellen Paarbeziehungen auf eine harte Probe. Bedürfnisse können oder wollen nicht mehr so ausgelebt werden wie vorher. In dieser schwierigen Lebensphase zieht sich die junge Krebspatientin häufig auch in der Partnerschaft zurück. Es kommt nicht selten zu einer Einschränkung der Kommunikation. Das Paar ist befangen und kann nicht mehr so leicht über bestimmte Themen sprechen [13]. Die Spontanität im Umgang geht verloren, stattdessen werden gedanklich Überlegungen angestellt, über welche Themen man spricht oder „besser“ nicht spricht. Diese subtilen Isolierungen erschweren die Kommunikation zwischen den beiden Partnern und können zu erheblichen Beziehungsstörungen und bis hin zu Sprachlosigkeit führen [14]. Dies betrifft insbesondere auch den Themenbereich Sexualität. Angst vor Zurückweisung und die Angst vor der Auseinandersetzung mit dem mit Scham besetzten Thema lässt Frauen wie Männer voreinander flüchten. Der Wunsch der Partner einander keinen Kummer zu bereiten, engt allmählich den Kreis der Dinge, die überhaupt zur Sprache gebracht werden können, immer mehr ein. Dieses Rückzugs- und Vermeidungsverhalten führt zu einem Teufelskreis von Erwartungsängsten und sich selbsterfüllenden Prophezeiungen (Selbstverstärkungsmechanismus). Die Angst vor dem Misserfolg führt zum Misserfolg. Körperliche Entfremdung, Distanzierung, bis hin zur inneren und äußeren Trennung können die Folge sein. Derartige Entwicklungen sind tragisch und von enormer Bedeutung für die Beziehung und Liebe. Der Mann hält sich oft zurück, aus dem Gefühl heraus seine Frau schonen zu wollen. Er weiß nicht wie sie empfindet, traut sich oft nicht zu fragen und verlässt sich auf seine stillen Vermutungen. So warten beide ab und verharren in unbefriedigender Spannung. Die Frau sieht sich darin bestätigt, dass sie nicht mehr begehrenswert ist und fühlt sich durch die Zurückhaltung des Mannes verletzt. Störungen der Kommunikation können dazu führen, dass viele Paare nach der Diagnosestellung einer gynäkologischen Krebserkrankung nicht nur auf jeden Versuch, den Geschlechtsverkehr zu vollziehen, sondern auch auf jede Form von Sexualität, Zärtlichkeit und Körperkontakt verzichten. Dieser Teufelskreis kann nur durchbrochen werden, wenn Offenheit und Vertrauen da sind und beide Partner den Mut haben, über ihre Gefühle zu sprechen.

Kommt es durch eine Krebserkrankung und deren Therapie zu irreversiblen Funktionseinbußen, gilt ganz allgemein: eine an Krebs erkrankte Patientin mag durch die Krankheit oder Therapiefolgen in ihren Fähigkeiten eingeschränkt sein, den Geschlechtsakt zu vollziehen; das heißt aber nicht, dass sie deshalb automatisch über keine Sexualität mehr verfügt. Es können neue Wege beschritten und neue Erfahrungen gemacht werden. Sexualität ist möglich auf individuelle Weise und immer legitim, wenn sie beiden Partnern gut tut. Das erotische Erleben muss keineswegs dramatisch nachlassen. Andere Formen der Zuneigung schieben sich in den Vordergrund. Zärtlichkeiten werden wichtiger, ebenso das Gefühl, dass man sich von seinem Partner, so wie man ist, geliebt und angenommen fühlt.

 

Über Sexualität sprechen – ein heißes Eisen?

Ein Blick in die Medien könnte die Vermutung aufkommen lassen, das Thema Sexualität stelle heute kein Tabu mehr dar. Das stimmt so nicht. Sexualität ist zwar heute ein geringeres Tabu, aber über das eigene sexuelle Erleben und Verhalten wird immer noch wenig gesprochen. Das gilt auch für den Klinik-und Praxisalltag, obwohl zahlreiche Studien die Notwendigkeit von Sexualberatung belegen. Studiendaten zeigen, dass 80% der Krebspatienten mehr Informationen über die Beeinträchtigungen ihrer Sexualität durch eine Krebserkrankung wünschen [15]. Aktuelle Umfragen zeigen den hohen Stellenwert, den insbesondere junge Krebspatientinnen dem Gespräch über ihre Sexualität mit dem Arzt beimessen.

In den Augen der meisten Patientinnen sind Frauenärzte die kompetenten Ansprechpartner in Sexualfragen [16]. Doch werden im Rahmen der onkologischen Nachsorge oder im Zusammenhang mit einer spezifischen Behandlung die Bereiche Körperbild und Sexualität häufig doch nicht routinemäßig thematisiert. Großangelegte epidemiologische Studien belegen, dass die Mehrzahl der Ärzte davon ausgehen, dass ihre Patientinnen von sich aus Sexualität ansprechen würden, wenn sie darüber reden wollten, während Patientinnen eher davon ausgehen, dass der Arzt sie danach fragen müsste. So kommt es immer wieder zu einer Nicht-Kommunikation über einen sowieso schon sensiblen Bereich [17]. Die De-Tabuisierung von Sexualität kann eine enorme Erleichterung und Entlastung für die Patientin darstellen und darüber zu einem Zuwachs ihrer persönlichen Bewältigungskompetenz führen. Allein das Sprechen über ihre sexuelle Problematik hat für die betroffene Patientin häufig einen hohen therapeutischen Effekt. Immer wieder berichten Patienten darüber wie erleichternd es sei, konkret und offen zu sexuellen Problemen von ihrem Frauenarzt, ihrer Frauenärztin befragt zu werden. Die Mitteilung an die Patientin, dass sie über ihr sexuelles Erleben sprechen kann, gilt als eine der wichtigsten Interventionen überhaupt [18]. Einschränkungen der Sexualität können für die Betroffenen eine signifikante Beeinträchtigung der Lebensqualität, ihres Selbstwertgefühls und der Zufriedenheit der Paarbeziehung zur Folge haben [19].

Ärzte haben durch das Ansprechen therapiebedingter sexueller Veränderungen eine wichtige Vorbildfunktion, indem sie Sexualität als einen selbstverständlichen Teil der Lebensqualität ansehen. Die krankheits- und therapiebedingten Störungen des Sexuallebens sind zu explorieren, wie jede andere Folgeerkrankung bzw. Nebenwirkung auch [20]. Von Seiten der Ärzte ist frühzeitig im Behandlungskonzept auf ein mögliches Auftreten von sexuellen Schwierigkeiten als häufige Folge der Behandlung hinzuweisen und auch darüber aufzuklären, dass Schwierigkeiten in der Sexualität eine mögliche Langzeitnebenwirkung nach Abschluss der Therapie sein kann. Zu einer patientengerechten onkologischen Versorgung gehört das Angebot einer sexualmedizinischen Beratung, die gleichermaßen hetero- und homosexuellen Paaren angeboten werden sollte. Nachfragen erhöht den Anteil berichteter sexueller Funktionsstörungen. Frühzeitige Informationen beugen dabei in vielen Fällen der Entstehung chronifizierter sexueller Störungen mit einer nur noch schwer zu unterbrechenden Eigendynamik (z.B. zunehmendes Vermeidungsverhalten) vor. Zur Beurteilung der Sexualität nach gynäkoonkologischen Erkrankungen erscheint die Erfassung des sexuellen Erlebens/der Zufriedenheit ein wesentlicheres Kriterium, als der Aktivitäts/Funktionsstatus, denn sexuelle Funktion ist nicht gleichbedeutend mit Zufriedenheit. Dies sollte Beachtung in der Forschung, als auch im klinischen Alltag, wo häufig die sexuelle Funktion als outcome gewertet wird, finden (E Infokasten 3 und 4).

Infokasten 3:
Sexualanamnese als integraler Bestandteil der onkologischen Nachsorge. Dazu gehören Fragen:

  • zu sexuellen Einschränkungen,
  • zur Qualität der Partnerbeziehung,
  • zur Zurückhaltung der Patientin oder des Partners,
  • zum sexuellen Erleben vor der Krebserkrankung.

 

Infokasten 4:

Onkologische Nachsorge: Beispielhafte Fragen zur Sexualität.

  • Hat sich durch Ihre Erkrankung in Ihrer Partnerschaft etwas geändert?
  • Wie war es, als es noch gut war? Haben Sie Sorgen in sexueller Hinsicht?
  • Haben Sie derzeit eine sexuelle Beziehung?
  • Wann waren Sie das letzte Mal sexuell aktiv?
  • Haben Sie Angst vor einer Berührung am eigenen Genitale?
  • Haben Sie Angst vor der Wiederaufnahme des Geschlechtsverkehrs?

 

Ein wesentlicher Aspekt bei Patientinnen mit gynäkologischen Karzinomen ist die Exploration hinsichtlich Körperbildstörung. D.h. Fragen zu formulieren, die klären helfen, ob die Patientin Schwierigkeiten mit sich hat bezüglich ihres weiblichen Rollenverständnisses und ihrer sexuellen Attraktivität (E Infokasten 5 und 6, S. 34).

Patientinnen mit Körperbildstörungen äußern nicht selten die Befürchtung, der Partner würde sie nicht mehr lieben bzw. begehren, wenn sie körperlich nicht mehr unversehrt ist. Diese Vorstellungen stellen oftmals eine wesentlich stärkere Belastung dar als der eigentliche Funktionsverlust selbst. Aufgabe der behandelnden Ärzte ist die Patientin darin zu unterstützen die sexuellen Veränderungen richtig einzuordnen. Die Information über den passageren oder dauerhaften Zustand der Veränderung, sowie welche Erleichterungen es geben könnte, wirken entlastend und geben oftmals den Impuls, über die sexuellen Bedürfnisse zu sprechen. Der Einsatz von sexualmedizinischen Testinstrumenten Das ärztliche Gespräch kann durch einen Fragebogen zwar ergänzt, aber nicht ersetzt werden. Speziell für onkologische Patienten und Patientinnen entwickelte Testinstrumente können zusätzliche wertvolle Informationen liefern und können hilfreich sein als Einstieg. Dazu eignen sich der Sexual Activity Questionnaire (SAQ, Fragebogen zur sexuellen Aktivität; [21]), der Female Sexual Function Index [22] und der EORTC Quality of Life Questionnaire (QLQ-C30; [23]).

Den Körper mit seinen Äußerungen und Zuschreibungen akzeptieren

Infokasten 5:

Onkologische Nachsorge: Fragen zum Körperbild /sexuellen Selbstkonzept.

  • Sind Sie mit dem Operationsergebnis zufrieden?
  • Können Sie sich im Spiegel anschauen?
  • Was heißt es für Sie ihre Haare verloren zu haben, eine Perücke tragen zumüssen?
  • Sind Sie unsicher, ob Sie sexuell noch attraktiv sind?
  • Haben Sie insgesamt das Gefühl sexuell weniger attraktiv zu sein?
  • Fürchten Sie, dass Ihr Partner Sie nicht mehr begehrt?
  • Fürchten Sie, dass Ihr Partner Sie nicht mehr liebt?

 

Durch die Erkrankung ist in vielen Fällen der frühere Zustand nicht mehr erreichbar. Damit zielt die Beratung auf rehabilitative Strategien, d. h. Strategien die Funktionsverluste nicht rückgängig machen, aber eine teilweise Wiederherstellung von Funktionen ermöglichen.

Relevant ist, die Frau wieder zur Expertin in eigener Sache zu machen. Das bedeutet, ihr so viel eigene Kompetenz wie möglich zuzumuten und zuzutrauen. Dies setzt eine ressourcenorientierte Perspektive auf die Problematik der Patientin voraus. Der therapeutische Fokus gilt immer dem Vorhandenen und Möglichen, nicht dem Fehlenden. Ist der sexuelle Handlungsspielraum krankheitsbedingt beeinträchtigt, darf die therapeutische Konzeption nicht bei der Beeinträchtigung stehen bleiben, sondern muss sich mit gleicher Aufmerksamkeit sowohl den objektiven Einschränkungen als auch den verbleibenden und entwicklungsfähigen Möglichkeiten und Ressourcen zuwenden. Brotto et al. entwickelten eine kurze, aus drei Sitzungen (jeweils 1,5 Stunden) bestehende Kurztherapie für Patientinnen, die aufgrund eines gynäkologischen Malignoms behandelt wurden und unter sexuellen Problemen litten. Diese auf Achtsamkeitsübungen und kognitiver Verhaltenstherapie basierende Intervention zeigte einen signifikanten, positiven Effekt im Hinblick auf sexuelles Verlangen, Erregung, Orgasmus und Befriedigung der Patientinnen die an der Kurztherapie teilnahmen [24].

 

Wenn Sex schmerzt

Die Information über den passageren oder dauerhaften Zustand der Veränderung, sowie welche Erleichterungen es geben könnte, wirkt entlastend und gibt oftmals den Impuls, über die sexuellen Bedürfnisse zu sprechen. Sofern kein hormonsensibler Tumor vorliegt, können eine Hormonersatztherapie (HRT) oder eine lokale Östrogenapplikation eine Therapieoption bei vaginaler Trockenheit und schmerzhaftem Geschlechtsverkehr sein. Der frühe und regelmäßige Einsatz von Bepanthen- Tampons oder Vaginaldilatatoren in Kombination mit Östrogensalben und einem Gleitmittel kann Verklebungen verhindern nach Radiatio im Genitalbereich oder die Vagina wieder aufdehnen. Ansonsten ist eine operative Adhäsiolyse notwendig. Frühzeitige Information und Beratung beugen in vielen Fällen der Entstehung langfristiger sexueller Störungen vor. Treten sexuelle Funktionsstörungen auf, wirken sich diese in der Regel unvermeidlich auf die Beziehung aus. Information und Beratung sollte auch dem Partner angeboten werden. Die Einbeziehung des Partners kann während der Krankheit wertvolle Impulse setzen, um mit den zentralen Fragen von Beziehung, Partnerschaft und Sexualität umzugehen.

 

Infokasten 6:

Sexualmedizinische Beratung bei gynäkologischen Malignomen

  • Entlastung durch Information insbesondere hinsichtlich möglicher Begleiterscheinungen und Langzeitfolgen der Therapiemaßnahmen,
  • Kritisches Hinterfragen von Mythen,
  • Ermutigung einen eigenen Weg zu gehen und sich von Normen zu befreien,
  • Motivierung zu Verhaltens- und Einstellungsänderungen,
  • Hinweis auf bis heute nicht genutzte Ressourcen zur Erreichung eines befriedigenden Sexuallebens.

 

Bedeutung einer partnerschaftlichen Krankheitsbewältigung

Wie der Ehemann/Partner auf die Krankheit reagiert, insbesondere auch hinsichtlich seines Sexualverhaltens, spielt eine wesentliche Rolle für die Krankheitsverarbeitung. Anderson et al. misst der Qualität der Partnerschaft und der Zufriedenheit mit der Sexualität vor der Behandlung eine große Bedeutung für die Vorhersage von sexuellen Funktionsstörungen nach der Diagnose und Therapie bei [25]. Nach Wimberly et al. hat die Änderung der Selbstwahrnehmung und des Selbstwertgefühls nach dem Verlust der körperlichen Integrität einen wesentlichen Einfluss auf das sexuelle Interesse und die sexuelle Ansprechbarkeit [26]. Frauen, die ihren Ehemann/Partner sowohl emotional beteiligt als auch weiterhin an ihr sexuell interessiert erleben, haben deutlich weniger Anpassungsstörungen infolge der Krebserkrankung, als Betroffene, die emotionale Intimität vermissen und sich sexuell weniger oder gar nicht mehr begehrt fühlen. Der Ehemann/Partner hat eine zentrale Bedeutung hinsichtlich der Krankheitsbewältigung. Je mehr Einvernehmen zwischen den Partnern erreicht werden kann, wie die Krebserkrankung zu handhaben ist, umso besser gelingt die Bewältigung [27].Wir erleben in den gynäkoonkologischen Zentren auch viele Paare, die durch die Krankheit und die gemeinsame Krankheitsbewältigung eine tiefere Beziehung gestalten.

 

Fazit für die Praxis

Durch die Therapiefortschritte der letzten Jahre überleben immer mehr Patientinnen ihre Krebserkrankung (survivorship). Junge Patientinnen werden durch die Krankheit vor besondere Probleme gestellt, da bei ihnen Selbstwertgefühl, Partnerschaft, Familienleben und Lebensplanung ausgeprägter beeinträchtigt werden. Unabhängig vom Operationsmodus haben junge Patientinnen eine höhere Wahrscheinlichkeit, sexuelle Probleme nach gynäkologischen Karzinomen zu entwickeln. Die jüngeren Frauen sind es auch, die für sich und ihre Familien die meiste Unterstützung einfordern, private und vermehrt auch professionelle Hilfe.

Verschiedene Studien haben gezeigt, dass ein enger Zusammenhang zwischen sexueller Gesundheit und der allgemeinen Lebenszufriedenheit besteht. Die enge Beziehung zwischen sexueller Gesundheit und Lebensqualität ist eine wichtige empirische Untermauerung für eine stärkere Gewichtung dieses Bereichs in unserem Gesundheitssystem. und sollte für jeden in der Onkologie tätigen Arzt Ansporn und Motivation sein, die durch die Krebserkrankung und die Therapiemaßnahmen entstandene Dysfunktionen aktiv mit den Patientinnen ansprechen. Nachfragen erhöht den Anteil berichteter sexueller Funktionsstörungen. Die Aufgabe der integrierten sexualmedizinischen Beratung und spezielle Fragestellungen, die den Lebensabschnitt der jungen Krebspatientinnen betreffen, stellen qualitativ höhere Anforderungen an die kommunikative und interaktive Kompetenz des Arztes. Die Teilnahme von Frauenärzten an einem sexualmedizinischen Curriculum erscheint sinnvoll, wird aber noch zu wenig genutzt. Darüber hinaus gilt es Interventionskonzepte zu erarbeiten, die symptomorientiert und in möglichst standardisierter Form eingesetzt werden können.

 

Korrespondenzadresse:

Dr. med. Susanne Ditz
Psychoonkologie und Psychosomatik an der Universitäts-Frauenklinik
Im Neuenheimer Feld 440
69120 Heidelberg
Tel.: 06221 56 37546
E-Mail: susanne.ditz@med.uni-heidelberg.de

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Literatur: medizin.mgo-fachverlage.de

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