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DGPFG-Rundbrief
2/2016 Nr. 52

Dezember 2016

Liebe Mitglieder der DGPFG,

haben Sie nicht auch das Gefühl, dass auf unserer Seele herumgeTRUMPelt wird?

Dass ein Populist einen faktenlosen Wahlkampf gewinnt, sollte uns mehr als nachdenklich stimmen. Die von der Globalisierung vorgegaukelte, aber selten mögliche „Verfügbarkeit“ eines sorgenfreien Lebens erzeugt Gier, Kränkung und am Ende ein Gefühl von Bedeutungslosigkeit. Dies ist der Nährboden für fast alle Zeitphänomene wie auch den Erfolg des Populismus.

Was können wir Psychosomatiker tun?

Der bekannte Freiburger Ethiker Giovanni Maio schreibt in seinem Buch, Medizin ohne Maß: „Das Glück liegt nicht in unserer Hand, sondern in unserer Einstellung.“ …und damit können wir insbesondere mit unseren Patientinnen immer wieder arbeiten. Die biopsychosozial begleitete Elternschaft ist kein Garant aber Voraussetzung für eine Entwicklung zum selbstbewussten, kohärenten Menschen, der weniger Anfälligkeit zeigt für Extremismus, welcher Art auch immer.

Aber auch die ganz allgemeine psychosomatische Begleitung von Frauen in Ihren Lebensübergängen von der Menarche bis zur Menopause und in ihren Krisenzeiten, sei es aus biologischen, psychischen oder sozialen Gründen, hat aus meiner Sicht protektive Effekte.

Indem wir eine ehrliche und ganzheitliche Medizin anbieten, welche sich nicht dem Diktat von Ökonomie und Organisation unterordnet, leisten wir viel für den „Seelenfrieden“ – auch den unseren.

In diesem Sinne hoffe ich, dass Sie nach Lektüre unseres Rundbriefes auch zu dem Schluss kommen, dass wir in der DGPFG und im Verbund mit den kooperierenden Verbänden gute Arbeit leisten. Vorstand und Beirat sind fleißig und haben viel geschafft. Wir sind auf gutem Weg – sind zunehmend bedeutsam, versuchen klug und evident zu entscheiden und öffnen unsere Grenzen, und damit stehen wir auch politisch auf der aus meiner Sicht richtigen Seite. Ich hoffe, viele von Ihnen sehen das auch so.

In diesem Sinne grüßt Sie herzlich und in freudiger Erwartung auf ein Wiedersehen in Dresden

Dr. Wolf Lütje
Präsident der DGPFG

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Inhaltsverzeichnis

Seite 3
Einladung zur Mitgliederversammlung


Seite 4
Klausurtagung im September 2016


Seite 5
Gewalt gegen Frauen


Seite 6
Die neue Homepage


Seite 7
DGPFG-Kongress 2017


Seite 8
Nationales Zentrum Frühe Hilfen


Seite 9
Kooperationen – Informationen und Stand der Dinge


Seite 10
Das Beratungsnetzwerk Kinderwunsch Deutschland BKiD


Seite 10
Perspektiven der psychosozialen Kinderwunschberatung in Deutschland – Tagung in Hamburg


Seite 11
Initiative Klug entscheiden


Seite 12
Kongressberichte


Seite 12
61. Kongress der DGGG 2016


Seite 13
DGPFG-Sitzung zu Migrationsthemen auf der DGGG-Tagung 2016


Seite 14
23. Jahrestagung des AKF


Seite 15
Fachtag „Gelingende Geburtshilfe“


Seite 16
Studie: Deutschland hat weniger Sex


Seite 17
Buchtipps


Seite 17
Vertrauen in die natürliche Geburt


Seite 17
Schönheitsmedizin


Seite 18
Impressum

Gyne 01/2021 – Kreative Schreibtherapie im medizinischen Kontext

Gyne 01/2021

Kreative Schreibtherapie im medizinischen Kontext

Autorin:

Dr. med. Julia Schwerdtfeger

Einleitung

Haben Sie mal versucht, in einer beruflich oder privat schwierigen Lebenssituation ein paar Sätze über ein schönes Erlebnis aus Ihrem Leben handschriftlich auf ein Blatt Papier zu bringen? Probieren Sie es einfach und schauen Sie, was passiert.

Konkrete Schreibimpulse wie diese Anfangsübung sind zentrale Inhalte des kreativen therapeutischen Schreibens. Die Methode bietet eine Möglichkeit, stressvolle und konfliktbeladene Lebensphasen zu bewältigen, konstruktiv mit den Herausforderungen umzugehen und neue Kraftimpulse für sich selbst zu gewinnen. Schreibtherapie ist ebenso wie andere kreative Therapierichtungen (Kunst-, Musik- und Tanztherapie) erlebnisorientiert. Im kreativen Gestalten öffnen sich Räume für neue Fähigkeiten und Erkenntnisse. Künstlerische Therapien sprechen Menschen auf einer sinnlichen Ebene an und können wirkungsvoll helfen, seelische Kräfte freizusetzen und den individuellen Handlungsspielraum zu vergrößern.

Mit geschriebenen Worten lassen sich Bilder erschaffen, die auf unsere innere Welt wirken und die persönlichen Ausdrucksmöglichkeiten erweitern. Die kreative Schreibtherapie hat einen verstärkenden Effekt auf reselienzfördernde Faktoren wie Selbstwirksamkeit, Selbstbewusstsein und realistischen Optimismus bei Menschen in und nach Krisensituationen. Außerdem lassen sich die geschriebenen Texte immer wieder nachlesen und werden somit zu einer persönlichen Ressource, auf die jederzeit zurückgegriffen werden kann. Das therapeutische Schreiben hilft, sich auch in schweren Zeiten positiven Aspekten des eigenen Lebens zuzuwenden und sich durch neu gewonnene Stärken und Kompetenzen weiterzuentwickeln.

Wer profitiert vom kreativen Schreiben?

Im ärztlichen Berufsalltag haben wir oft mit PatientInnen und deren Angehörigen in schwierigen Lebensumständen zu tun. Seien es schwere Erkrankungen oder Krisen- und Konfliktsituationen durch traumatische Erfahrungen oder Schicksalsschläge, die die Menschen oftmals völlig unerwartet treffen und das gesamte Leben ins Wanken bringen können.

Gefühle wie Ohnmacht, Verzweiflung, Wut, Traurigkeit, unterschied- liche Ängste und depressive Ver- stimmungen sind häufige Reaktionen, die in psychosomatisch/psychotherapeutisch ausgerichteten Gesprächen neben den medizinischen Erörterungen über Diagnostik-und Therapiekonzepte eine große Rolle spielen.

Viele Forschungsergebnisse aus den letzten 10–15 Jahren – wie u. a. Pennebaker [1], Unterholzer [2], Haußmann und Rechenberg-Winter [3], Heimes [4] – belegen, dass kreatives Schreiben bei der Wiederherstellung der psychischen Gesundheit einen wichtigen Faktor darstellen kann. Auch körperliche Beschwerden lassen sich mit dieser Therapieform lindern, wie die Ärztin und Schreibtherapeutin Silke Heimes [5] in ihren Untersuchungen eindrucksvoll schildert.

Der Schreibworkshop

Meine eigenen Erfahrungen als Schreibtherapeutin beziehen sich bisher hauptsächlich auf die Arbeit mit an Krebs erkrankten Menschen, zum Beispiel in Workshops bei der Niedersächsischen Krebsgesellschaft in Hannover. Für die Teilnahme an einem Schreibworkshop (6–10 Personen, 90 Minuten pro Sitzung) sind keinerlei Vorkenntnisse oder Schreiberfahrungen erforderlich. Anfängliche Zweifel der Teilnehmer und Teilnehmerinnen, nicht gut genug schreiben zu können und ohne Idee vor dem weißen Blatt Papier zu sitzen, lassen sich mit dem Hinweis, dass es hierbei überhaupt nicht um einen literarischen Anspruch im eigentlichen Sinne geht und dass man nichts falsch machen kann, schnell ausräumen.

Als Gruppenleiterin ist es meine Aufgabe, den teilnehmenden Personen und den von ihnen verfassten Texten Empathie und Wertschätzung entgegen zu bringen und nicht anhand einer literaturkritischen Skala zu bewerten. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen schreiben vor allem für sich selbst und können nach jeder Schreibübung für sich entscheiden, ob sie den geschriebenen Text in der Gruppe vorlesen möchten oder nicht. Meiner Erfahrung nach geschieht es aber nur recht selten, dass jemand nicht vorlesen möchte. Meist besteht der Wunsch und oft sogar eine Vorfreude, auch zu hören, was die anderen zu einem bestimmten Thema geschrieben haben. Denn die Vorleserunde hat ausgeprägte gruppend namische Wirkungen, stärkt die Identifikation mit der Gruppe und das Gefühl, aufgehoben zu sein und geschätzt zu werden.

Konzeptionell beziehe ich mich zum einen auf die Methode des gesundheitsfördernden kreativen Schreibens, die von den beiden Schreibtherapeutinnen Susanne Diehm und Jutta Michaud [6] entwickelt wurde und seit vier Jahren u.a. an der Charite in Berlin für an Eierstockkrebs erkrankte Frauen in Workshops angeboten wird. Des Weiteren haben mich die Studien der Ärztin und Schreibtherapeutin Silke Heimes [4] und der Schreibwissenschaftlerinnen und Schreibcoaches Renate Haußmann und Petra Rechenberg-Winter [3] in meiner eigenen schreibtherapeutischen Arbeit beeinflusst. Nicht zuletzt sind die phantasievollen Schreibideen der Filmregisseurin und Autorin Doris Dörrie [7] sehr inspirierend.

Schreibimpulse

Anhand von vier Beispielen möchte ich einen konkreten Eindruck vermitteln, was gesundheitsförderndes Schreiben im Detail bedeutet:

Gute-Laune-ABC-Darium
Als Aufwärmübung zu Beginn einer Sitzung eignet sich z. B. ein „Gute-Laune-ABC-Darium“. Die Buchstaben des Alphabetes werden untereinander geschrieben und zu dem Motto „Was mich immer in gute Laune versetzt“ werden Begriffe gesammelt. Natürlich geht es hier nicht um Vollständigkeit, sondern um den spielerischen Umgang mit spontanen Einfällen, sozusagen eine positiv stimmende Lockerungsübung für den Kopf.

A …bendstimmung am Meer
B …randenburgische Konzerte hören
C …appuccino trinken
D …Doppelkopf spielen
E …rdbeertorte mit Sahne
F …luss-Schwimmen
G …edichte lesen
H …immelsblau
u.s.w.

Ich erinnere mich gerne an…
Bei einem anderen Schreibimpuls besteht die Aufgabe darin, fünf Mal untereinander den Satzanfang „ich erinnere mich gerne an…“ zu schreiben und diesen fünf Mal zu vervollständigen. Dabei soll der biografische Gedankenraum möglichst weit offen sein. Es können schöne Kindheitserinnerungen sein, eine eindrucksvolle Reise, eine besondere Begegnung mit einem Menschen, ein Wohlfühlort im Leben, aber auch gegenwärtige kleine Erinnerungen wie ein Spaziergang im Stadtpark ein paar Tage zuvor oder der leckere Spaghettiauflauf vom gestrigen Abend. Danach sollen die Teilnehmer und Teilnehmerinnen einen dieser Sätze für sich auswählen, in diesen quasi hineinzoomen und die jeweilige Situation mit zwei bis drei Sätzen etwas ausführlicher beschreiben (warum erinnere ich mich gerne an den Sonnenuntergang an der Ostsee im letzten Herbst? Weshalb war das gestrige Abendessen so schön? Etc ).
Wenn anschließend zehn Personen eine Situation aus ihrem Leben vorlesen, an die sie sich gerne erinnern, ist der Raum sofort von einer positiven und oft heiteren Stimmung erfüllt.

Der ungebetene Gast
In einer weiteren, tiefer gehenden Schreibübung − eher geeignet für eine Gruppe, deren Mitglieder sich schon eine Weile kennen und miteinander vertraut sind − geht es um die Auseinandersetzung mit eigenen Ängsten und Sorgen. Die Aufgabe besteht darin, sich die Krankheit oder den aktuellen Konflikt, also das belastende Lebensthema, als einen ungebetenen Gast vorzustellen, der plötzlich vor der Tür steht, seinen Koffer in die Wohnung schiebt und sich nicht abweisen lässt. Nun gilt es, sich irgendwie mit diesem Fremdling auseinanderzusetzen und schreibend mit ihm in den Dialog treten.
Bei dieser Schreibübung bin ich immer wieder verblüfft, wie unterschiedlich die Herangehensweise der Teilnehmer und Teilnehmerinnen ist. Manche gehen direkt auf Konfrontationskurs, bringen ihre Wut über sein Erscheinen zum Ausdruck, schreien ihn ordentlich mit deftigen Schimpfwörtern an und versuchen ihn einzuschüchtern. Andere versuchen, sich zu arrangieren, sich einzuschmeicheln, zum Beispiel dem ungebetenen Gast einen Tee zu kochen, in der Hoffnung, er möge dann mit sich reden lassen und wiedergehen. Wieder andere versuchen, ihn sich vom Leibe zu halten, indem sie eine imaginäre Mauer inder Wohnung einziehen und dem Gast einen bestimmten Platz zuweisen etc.
Diese Übung ermöglicht einen Perspektivwechel, der die Phantasie anregt und letztlich eine entlastende Wirkung haben kann. Beim Vorlesen durchläuft die Gruppe oft eine Achterbahnfahrt der Gefühle, aber auch hier wird gelacht über absurde Gedanken und findige Lösungsstrategien.

Elfchen
Als Abschlussintervention eines Gruppentermins verwende ich gerne einen Miniaturtext, ein kleines Gedicht oder einen Vers, der das Hauptthema der jeweiligen Sitzung noch einmal bündelt. Als Beispiel soll hier ein sogenanntes „Elfchen“ zum Thema Freundschaften dienen, ein Gedicht, bei dem in der ersten Zeile ein Wort steht, in der Zeile zweiten zwei Wörter, in der dritten Zeile drei Wörter, in der vierten Zeile vier Wörter stehen, und in der fünften Zeile wieder nur ein Wort steht. Diese formale Strukturvorgabe wird nach meiner Erfahrung nicht als Einengung der kreativen Ausdrucksmöglichkeiten, sondern im Gegenteil als unterstützende Grundlage für die eigenen Begriffe und Formulierungen empfunden. Im Folgenden ein Beispiel für ein solches Gedicht:

Freundinnen
helfen mir
mit ihrer Nähe
prechen mir Mut zu
einfühlsam

Gezielte Schreibübungen können also helfen, Gedanken zu ordnen, das Chaos im Kopf zu bändigen, wieder in positiv gefärbte Stimmungslagen zu gelangen und sich an der wie von selbst entstehenden Kreativität zu freuen. In den Feedbackrunden am Ende einer Sitzung sind die Teilnehmer und Teilnehmerinnen teilweise richtiggehend erstaunt über die von ihnen verfassten Texte, die sie sich oft nicht zugetraut hätten. Des Weiteren wird die Synergie der Gruppenarbeit immer wieder positiv hervorgehoben. Die geschützte und schreibend konzentrierte Atmosphäre im Raum fördert das Gefühl der Zusammengehörigkeit. Auch die Vorleserunden der oft sehr unterschiedlichen Texte werden von den Gruppenmitgliedern als verbindend und durch ihre Vielseitigkeit als inspirierend erlebt.

Ausblick

Während sich andere kreative Therapiemethoden wie Kunst-, Tanz- und Musiktherapie in den letzten 30 Jahren im Medizinbetrieb zunehmend etablieren konnten, ist die Methode des kreativ-therapeutischen Schreibens in Deutschland trotz guter aktueller Forschungsergebnisse zum Wirksamkeitsnachweis bisher wenig bekannt. Eine Einbindung dieser kreativen Therapieform zum Beispiel in psychosomatische Kliniken, Reha-Einrichtungen sowie onkologische Zentren wäre unbedingt wünschenswert und aus meiner Sicht einfach zu etablieren, zumal für die Durchführung an Material nur Stift und Papier benötigt werden.

Kreatives Schreiben kann aber auch für Menschen, die im beruflichen Kontext viel Emotionsarbeit leisten, (ÄrztInnen, PsychotherapeutInnen, Krankenschwestern und -pfleger, LehrerInnen, BeraterInnen, um nur einige Berufsfelder zu nennen) zur Entwicklung und Bewahrung von Selbstachtsamkeit hilfreich sein und als ergänzende präventive Methode vor Überforderung und chronischer Erschöpfung im Sinne eines Burn-out-Syndroms schützen. Insofern sehe ich für die kreative Schreibtherapie auch im Rahmen von Balintgruppenarbeit oder in der Supervision durchaus Potenzial. Erste eigene vielversprechende Erfahrungen habe ich in ärztlichen Qualitätszirkeln bereits sammeln können.

Zusammenfassung

Stressvolle Lebenssituationen wie schwere Erkrankungen oder andere Konfliktsituationen stürzen Menschen oft in eine Krise, deren körperliche wie auch psychische Verarbeitung eine große persönliche Herausforderung darstellt. Die Methode des kreativen therapeutischen Schreibens bietet zusätzlich zu medizinisch notwendigen Therapien eine gute Möglichkeit, konstruktiv mit den Belastungen umzugehen und die Lebenskrise zu bewältigen. Mit gezielten Schreibimpulsen lassen sich Gedanken und Gefühle wie Ängste, Trauer und Verzweiflung leichter erfassen und so die Resilienz der Betroffenen fördern. Viele Studien aus den letzten 10–15 Jahren belegen die gute Wirksamkeit des therapeutischen Schreibens als einer ressourcenorientierten kreativen Therapiemethode.

Schlüsselwörter: Schreibtherapie – Schreibimpulse – kreative Therapie – Resilienz – ressourcenorientiert – Schreibworkshop

Summary

Creative writing therapy in a medical context
J. Schwerdtfeger

Stressful life situations such as serious diseases or other conflict situations often plunge people into a crisis whose physical as well as psychological processing represents a great personal challenge. In addition to medically necessary therapies, the method of creative therapeutic writing offers a good opportunity to deal constructively with the stresses and strains and to overcome the life crisis. With targeted writing impulses, thoughts and feelings such as anxiety, grief and despair can be grasped more easily and thus the resilience of those affected can be promoted. Many studies from the last 10–15 years prove the goodeffectiveness oftherapeutic writingas a resource-oriented creative therapy method.

Keywords: writing therapy – writing impulses – creative therapy – resi- lience – resource-oriented – writing workshop

Korrespondenzadresse:

Dr. med. Julia Schwerdtfeger Frauenärztin/Psychotherapie
Hartenbrakenstr. 47
30659 Hannover
Schwerdtfeger-julia@t-online .de
Schreiben-hilft.net

Slide Kreative Schreibtherapie im medizinischen Kontext Gyne 01/2021

Literatur:

  1. Pennebaker JW. Heilung durch Schreiben. Ein Arbeitsbuchzur Selbsthilfe. Bern: 2010
  2. Unterholzer C. Es lohnt sich einen Stift zuhaben. Schreiben in der systemischen Therapie und Beratung. Heidelberg: 2017
  3. Haußmann R, Rechenberg-Winter P. Alles, was in mir steckt. Kreatives Schreiben im systemischen Kontext. Göttingen: 2012
  4. Heimes S. Warum Schreiben hilft. Die Wirksamkeitsnachweise zur Poesietherapie. Göttingen: 2012
  5. Heimes S. Schreib dich gesund. Übungen für verschiedene krankheitsbilder. Göttingen: 2015
  6. Diehm S, Michaud J. Mit Schreiben zur Lebenskraft. Übungsbuch für Frauen mit Krebserkrankungen und ihre Angehörigen. München: 2018
  7. Dörrie D. Leben Schreiben Atmen. Eine Einladung zum Schreiben. Zürich: 2019

Interessenkonflikt: Die Autorin erklärt, dass bei der Erstellung des Beitrags kein Interessenkonflikt im Sinne der Empfehlung des International Committee of Medical Journal Editors bestand.

DGPFG-Rundbrief 20 Nr. 59

DGPFG-Rundbrief
1/2020 Nr. 59

Dezember 2020

Liebe Freundinnen und Freunde der DGPFG,

die kleinste aller Lebensformen hat die komplexeste nach wie vor fest im Griff. Wer hätte Anfang 2020 gedacht, dass unser Leben derart auf den Kopf gestellt wird. Ich fühle mich jetzt auch außerhalb des OP’s ohne Mundschutz nackt und schutzlos.

Die Auswirkungen der Berührungs- und Kontaktlosigkeit über lange Zeiträume können wir nur erahnen. Zu Hause arbeiten und unterrichten und im Draußen nicht mehr zu leben und nichts mehr zu erleben – eine ungewohnte und schwere Umstellung.

Dennoch würde ich mich persönlich zu den eher Unbelasteten zählen: Keine Vorträge, keine Reisen, keine Meetings – das Leben ist deutlich ruhiger geworden. Dieses Innehalten und Sortieren – es tat auch gut!

Es wäre ein Segen, wenn wir aus der Pandemie gestärkt und resilient hervorgehen, um der wahren Ursache all der anderen menschheitsbedrohenden Krisen besser begegnen zu können.

Nachdem wir eine der letzten Fachgesellschaften waren, die noch im März 2020 ihre Jahrestagung als Präsenz- Veranstaltung in Jena organisiert hat, haben auch wir den Segen der Digitalisierung genutzt, um unsere Arbeit in gewohnter Weise fortzusetzen. Die aktuelle Pandemielage zwingt uns, das Konzept für unsere 50. Jahrestagung im März in Berlin stets tagesaktuell anzupassen. Das Beirats-Treffen der DGPFG haben wir auch in diesen Zeitraum verschoben.

Die Hoffnung scheint nicht unbegründet, dass wir uns alle dann 2022 in Wien im Rahmen der Dreiländertagung und des ISPOG Kongresses (Thema: Post Pandemic World) wieder persönlich begegnen können. Für 2023 steht dies für unsere Jahrestagung in Hamburg hoffentlich außer Frage.

Mit den Erfahrungen rund um die Nutzung der digitalen Welten stehen auch für uns Veränderungen an. Dieser ausführliche und umfassende Rundbrief wird voraussichtlich der Letzte seiner Art sein und durch einen regelmäßig vorwiegend elektronisch verschickten Newsletter ersetzt. Der Vorstand hat sich zudem von einem Social Media-Experten beraten lassen. Das umfassende Interesse an uns und unsere Arbeit können wir zukünftig nur über die Nutzung moderner Kommunikationsformen sichern – ein langwieriger Prozess den wir aber umgehend anstoßen müssen. Schwingungsfähigkeit ist mehr denn je gefragt – da waren und sind wir immer gut gewesen.

Ich wünsche Ihnen viel Zeit ohne Gedanken an Corona.

Bleiben sie an Leib und Seele gesund

Herzlichst

Wolf Lütje
Präsident

 

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Inhalt

  • Mitgliederversammlung DGPFG 2021
  • 50. Jahreskongress der DGPFG
  • Jubiläumsbuch der DGPFG
  • Laudation Dr. Anke Rohde
  • Laudation Dr. Arndt Ludwig
  • DGGG-Kongress 2020
  • Projekt Leitfaden vaginale Untersuchung
  • Interprofessionelle Kompetenzentwicklung
  • Der medikamentöse Schwangerschaftsabbruch
  • Arbeitskreis Frauengesundheit
  • AG GGUP
  • SmartMOMS
  • BKiD
  • Aktion Roter Stöckelschuh
  • Buchtipps
  • Krisen in der Schwangerschaft
  • Wechseljahre
  • Sexualität nach gynäkologischen Erkrankungen

Gyne 07/2020 – Lesbische und bisexuelle Patientinnen in der gynäkologischen Praxis

Gyne 07/2020

Lesbische und bisexuelle Patientinnen in der gynäkologischen Praxis

Autorin:

Helga Seyler

Einleitung

Ein nennenswerter Anteil von Frauen lebt nicht ausschließlich heterosexuell. In aktuellen Studien aus Deutschland gaben ca. 2% der Frauen an, lesbisch oder bisexuell zu leben [1, 2], bei 21–25-jährigen Frauen war der Anteilmit 3% lesbisch und 6% bisexuell lebenden Frauen höher [3]. Nicht ausschließlich heterosexuell leben nach einer weiteren Befragung 11–22% der Frauen [4].

Somit sind Frauen, die mit Frauen sexuell aktiv sind oder sich als lesbisch bzw. bisexuell bezeichnen, schon rein zahlenmäßig eine wichtige Gruppe von Patientinnen in der gynäkologischen Versorgung. Als solche wahrgenommen werden sie von viele Ärztinnen und Ärzten trotzdem nicht. Das ist erstaunlich, da doch gerade in der gynäkologischen Versorgung Sexualität, Partnerschaft und Familienplanung zentrale Themen sind.

Erklären lässt sich dieser scheinbare Widerspruch damit, dass – wie Befragungen zeigen – nicht-heterosexuelle Frauen ihre Lebensweise oft nicht von sich aus ansprechen [5, 6]. Außerdem werden sie selten aktiv darauf angesprochen. Die Lebensweise wird so oftmals nicht sichtbar und Ärzte/Ärztinnen gehen weiter davon aus, ausschließlich heterosexuelle Frauen zu behandeln. Das kann die gesundheitliche Versorgung beeinträchtigen und zu Fehlversorgung führen. Und es signalisiert lesbischen und bisexuellen Patientinnen, dass ihre Lebensweise eben nicht selbstverständlich berücksichtigt wird und sie nicht dieselbe Akzeptanz und Anerkennung erfahren wie hetero-sexuelle Frauen.

Es gibt mehrere Gründe für lesbische und bisexuelle Frauen, ihre sexuelle Orientierung zu verschweigen oder nicht aktiv anzusprechen. Oft bekommen sie im Kontakt mit den Behandelnden schlicht keine Gelegenheit. Diese sprechen ihr Gegenüber selbstverständlich als heterosexuell an, die Patientin müsste das Gespräch unterbrechen und dieser Annahme explizit widersprechen. Oft befürchtet sie dabei negative Reaktionen und eine Beeinträchtigung des Kontaktes. Dass diese Sorge nicht unbegründet ist, zeigen zwei Studien aus Deutschland: Ein Fünftel aller befragten lesbischen und bisexuellen Frauen hatte im Kontakt mit Ärzten/Ärztinnen und medizinischem Personal aufgrund der sexuellen Orientierung negative Erfahrungen gemacht. Sie berichteten beispielsweise von ungläubigen Reaktionen, respektloser Behandlung, unangemessenen (voyeuristische) Fragen, distanzierendem Verhalten bis zur Verweigerung medizinischer Hilfe oder gar dem Ratschlag, mit Hilfe einer Psychotherapie heterosexuell zu werden [5, 7].

Zudem gehört es nach wie vor zum Alltag eines Besuchs in einer Praxis, dass Anamnesefragen nur auf eine heterosexuelle Lebensweise ausgerichtet sind oderselbstverständlich davon ausgegangen wird, dass Verhütungsbedarf besteht.

Diese Erfahrungen bzw. Sorgen führen bei einem Teil lesbischer und bisexueller Frauen sogar dazu, im Krankheitsfall den Arztbesuch zu vermeiden. Außerdem nehmen diese Frauen seltener an Früherkennungsuntersuchungen teil [5]. Dieses Phänomen ist als „delay of care“ beschrieben und kann zu schwerwiegenden gesundheitlichen Konsequenzen führen [8]. Insbesondere lesbische und bisexuelle Frauen, die in einem wenig akzeptierenden Umfeld bzw. sehr versteckt leben, sind davon betroffen.

Die Mehrzahl der Ärzte und Ärztinnen jedoch möchte auch nicht heterosexuell lebende Patientinnen fachkompetent und akzeptierend versorgen. Wenn die akzeptierende Haltung der Praxis bzw. Klinik und der Beschäftigten z. B. auf der Webseite deutlich gemacht wird, kann diesen Frauen der Zugang und das offene Ansprechen der sexuellen Orientierung erleichtert werden. Auch Informationsmaterial im Wartezimmer oder der selbstverständliche Einschluss von nicht-heterosexuellen Lebensweisen in die Anamnesebögen und Fragen sind dazu geeignet (Tab. 1).

Minderheitenstress als Gesundheitsrisiko

Stigmatisierung bzw. die Angst davor werden in der Forschung als Minderheitenstress betrachtet, der die körperliche und psychische Gesundheit beeinträchtigt. Zahlreiche Studien aus dem englischen Sprachraum belegen, dass diese Belastung mit einem höheren Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen,Angststörungen, Depressionen und Suchterkrankungen verbunden ist [8–10]. Lesben rauchen mehr als doppelt so häufig wie heterosexuelle Frauen, wohl ebenfalls infolge von Stress. Allerdings hat auch die Tabakindustrie diese spezifische Zielgruppe erkannt und bewirbt sie geschickt, indem sie weibliche Emanzipation und Unabhängigkeit mit dem Bild der rauchenden Frau verknüpft.

Zwar ist die Akzeptanz nicht heterosexueller Lebensweisen in weiten Teilen der Gesellschaft in den letzten Jahren deutlich gewachsen, trotzdem ist die Gleichstellung in allen gesellschaftlichen Bereichen nicht selbstverständlich. Aktuell nehmen Aktivitäten von rechtspopulistischen und christlich-fundamentalen Strömungen, die offen gegen Akzeptanz und Gleichstellung nicht-heterosexueller Menschen eintreten, sogar wieder zu [11].

Neben direkten, offenen Angriffen wie Beschimpfungen, Beleidigungen und lächerlich machen bis hin zu (sexualisierten) körperlichen Angriffen [7,12],erleben Lesben und bisexuelle Frauen häufig subtile Formen der Abwertung. So wird ihre Lebensweise beispielsweise nicht ernst genommen oder Menschen im Umfeld distanzieren sich von ihnen.

Insbesondere das Coming-Out ist eine krisenhafte und vulnerable Lebensphase. Dies gilt ganz besonders für Jugendliche, die in der Pubertät ohnehin verunsichert sind. Diese Jugendlichen erleben oft gerade im nahen Umfeld von Familie oder Gleichaltrigen massive Ablehnung und Ausgrenzung. Das hat für sie schwerwiegende Folgen und ist zum Beispiel mit vermehrt riskantem Konsum von Alkohol und Drogen verbunden sowie mit einem deutlich höheren Suizidrisiko [8,9]. Gerade in dieser Lebensphase sind verständnisvolle Erwachsene zur Unterstützung wichtig. Diese können sich in Jugendeinrichtungen oder der Schule finden, aber auch Ärzte/Ärztinnen können hier maßgeblich sein.

Gleichzeitig zeigen Studien, dass ein erfolgreich bewältigtes Coming-Out zu einer Stärkung und Stabilisierung der Persönlichkeit und Zunahme der Resilienz führt. Psychische Probleme werden offensichtlich bewältigt und es gibt Hinweise, dass Krisen im späteren Leben (zum Beispiel Wechseljahre, Beeinträchtigungen im Alter) besser bewältigt werden [13, 14].So zeigten einige Studien zwar eine höhere Lebenszeitprävalenz von psychischenErkrankungen,die aktuelle Erkrankungsrate lag jedoch im Durchschnitt [9].

Wichtige Ressourcen fürpsychosoziales Wohlbefinden sind an erster Stelle die Partnerschaft, dann das Netz aus Freunden/Freundinnen, das die Funktion einer Wahlfamilie hat. Darauf folgen soziale Netzwerke, beispielsweise in Form von psychosozialen und kulturellen Treffpunkten.

Gynäkologische Krebserkrankungen

Lebensstilfaktoren sowie die reproduktive Biografie haben Einfluss auf die Häufigkeit von Krebserkrankungen. Daher ist anzunehmen, dass mit der sexuellen Orientierung verbundene Faktoren ebenfalls relevant sind. Es gibt allerding nur wenige Daten dazu, ob die sexuelle Orientierung tatsächlich Einfluss auf die Häufigkeit und den Verlauf von Krebs-erkrankungen hat.

Für das Mammakarzinom belegen einige Studien mehr Risikofaktoren bei lesbisch lebenden im Vergleich zu heterosexuellen Frauen – vorwiegend in der reproduktiven Biografie. Ob sich dies auch in höheren Erkrankungs-zahlenausdrückt, ist unklar. Es gibt allerdings einige Hinweise darauf [15].

In Bezug auf das Zervixkarzinom wurde in der Vergangenheit ein geringeres Risiko bei Lesben angenommen. Inzwischen belegen zahlreiche Daten vergleichbare Prävalenzen von HPV-Infektionen [16]. Daher ist auch ein vergleichbares Risiko der Entwicklung von Zervixkarzinomen anzunehmen.

Für Ovarial-und Endometriumkarzinom gibt es keine Daten zum Einfluss der sexuellen Orientierung. Re-produktive Faktoren, wie die seltenere Anwendung hormonaler Kontrazeptiva, könnten ein höheres Risiko bedeuten.

Nicht-heterosexuell lebenden Frauen sollten Früherkennungsuntersuchungen im gleichen Umfang angeboten werden wie heterosexuellen Frauen. Da eine relevante Gruppe lesbisch und bisexuell lebender Frauen gynäkologische Untersuchungen vermeidet, brauchen sie möglicher-weise spezifische Informationen und Ansprache. Diese sollte Akzeptanz für ihre Lebensweise und Verständnis für mögliche Sorgen und Ängste signalisieren.

Wenn Frauen an Krebs erkrankt sind, hat die Unterstützung durch nahe Bezugspersonen (Partnerin, enge Freundinnen) eine große Bedeutung bei der Betreuung. Es sollte explizit und offen auch nach Partnerinnen gefragt werden, um sie entsprechend dem Wunsch der Patientin in die Betreuung einzubeziehen.

Sexuell übertragbare Krankheiten

Zur Häufigkeit von sexuell übertrag-baren Krankheiten (STD) sowie zu Übertragungsrisiken und Schutzmöglichkeiten bei lesbischen und bisexuellen Frauen gibt es deutlich weniger gesichertes Wissen, als für heterosexuell lebende Menschen und schwule Männer. Meist wird zumindest für lesbisch lebende Frauen von einem sehr geringen Risiko ausgegangen. Aktuelle Studien stellen das jedoch zumindest teilweise in Frage – auch wenn sie meist kein repräsentatives Kollektiv untersuchten und/oder kleine Fallzahlen hatten.

Dass eine Übertragung beim Sex zwischen Frauen möglich ist, gilt für alle klassischen STD einschließlich HIV auf der Basis von überprüften und gut dokumentierten Fallberichten als gesichert [17–19]. Die Prävalenz der meisten STD scheint jedoch – zumindest bei Frauen, die ausschließlich mit Frauen sexuell aktiv sind – deutlich geringer zu sein als bei heterosexuell aktiven Frauen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die sexuelle Identität nicht deckungsgleich mit dem sexuellen Verhalten ist.

Dimensionen der sexuellen Orientierung:

  • Sexuelle Attraktion (sexuelles Begehren gerichtet auf das gleiche und/oder das Gegen-geschlecht)
  • Sexuelle Identität (Selbstbezeichnung als lesbisch, bisexuell, queer, etc.)
  • Sexuelles Verhalten (sexuelle Aktivität mit Frauen, Männern oder beiden)

 

Die Mehrzahl der Frauen mit lesbischer Identität hatte zumindest in der Vergangenheit männliche Sexualpartner. Eine signifikante Minderheit (in verschiedenen Studien zwischen6% und20%) hat auch aktuell Sex mit Männern [18]. Es gibt Hinweise darauf, dass diese Frauen ein höheres Infektionsrisiken eingehen und sich weniger schützen als heterosexuelle Frauen. Demzufolge haben sie auch ein höheres Risiko für die Ansteckung mit einer STD. Für bisexuelle Frauen sind die Daten heterogen. In der Praxis ist es also wichtig, genauer nach Sexualpartnern oder partnerinnen und Infektionsrisiken zu fragen.

Zur Häufigkeit von Chlamydieninfektionen gibt es widersprüchliche Daten. In älteren Studien war die Häufigkeit zumindest bei Frauen, die in den letzten zwölf Monaten nur Sex mit Frauen hatten, mit etwa1% gering. Eine aktuelle Studie fand jedoch auch in dieser Gruppe höhere Prävalenzen von 5–7 %, zumindest für Frauen im Alter von 15–24 Jahren [18, 20].

HIV, Gonorrhoe und Lues scheinen bei Frauen, die im vorangegangenen Jahr nur Sex mit Frauen hatten, selten diagnostiziert zu werden [18]. In Bezug auf HIV-Infektionen spielen für lesbisch lebende Frauen Übertragungswege wie Needle-sharing bei intravenösem Drogengebrauch sowie Sex mit Männern eine deutlich größere Rolle als die Übertragung beim Sex zwischen Frauen.

Bakterielle Vaginosen wurde in einigen Studien bei Frauen mit einer gleichgeschlechtlichen Partnerin häufiger diagnostiziert als bei Frauen mit gegengeschlechtlichen Partnern. Außerdem bestand häufig eine gleichzeitige Infektion bei beiden Partnerinnen. Auch longitudinale Beobachtungen legen eine Übertragung beim Sex zwischen Frauen nahe [18, 21].

Ein großes Problem für die Beratung und Betreuung lesbischer Patientinnen hinsichtlich sexuell übertragbarer Infektionen, ist das mangelnde Wissen zu den Übertragungsrisiken bei einzelnen Sexpraktiken(z.B. bei Oralsex, manueller vaginaler Stimulation oder der gemeinsamen Verwendung von Sexspielzeug) und zum Nutzen von Schutzmöglichkeiten [22]. Das erschwert die Beratung, bei welchen Sexpraktiken und in welchen Situationen die Benutzung von Handschuhen oder Latex-Tüchern sinnvoll erscheint. Und es erschwert Lesben einen angemessenen Umgang mit Infektionsrisiken.

Kinderwunsch

Das häufigste Anliegen, das lesbisch lebende Frauen in eine gynäkologische Praxis führt, ist der Wunsch nach einer Schwangerschaft. Für die Erfüllung ihres Kinderwunsches müssen Frauen in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften hohe rechtliche und praktische Hürden überwinden. Sie sind mit vielen Fragen und Entscheidungen konfrontiert, der Weg zu einer Schwangerschaft ist für sie oft kompliziert und vor allem teuer. Daher können viele dieser Frauen ihren Wunsch nicht realisieren. Für die Unterstützung und Betreuung sind psychologische, rechtliche und praktische Informationen hilfreich [23].

Rechtliche Fragestellungen der donogenen Insemination

Die Muster-Richtlinie der Bundesärztekammer zur assistierten Reproduktion enthält seit 2018 keine Beschränkungen mehr in Bezug auf Frauen in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. Rechtlich bindend sind die Richtlinien der Landesärzte-kammern, die in diesem Punkt un-einheitlich sind. Ohnehin beurteilen jedoch viele Juristen solche Einschränkungen als gesetzeswidrige Benachteiligung aufgrund der sexuellen Orientierung, die dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz widerspricht und damit als rechtlich nicht bindend angesehen werden kann [24, 25].

Eingeschränkt wird die Bereitschaft, Leistungen der assistierten Reproduktion auch Frauen in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften anzubieten, durch die Sorge von Samenbanken oder inseminierenden Ärzten/Ärztinnen vor einer Klage auf Unterhaltszahlungen durch Jugend-ämter. Für die donogene Insemination in heterosexuellen Beziehungen ist dies ausgeschlossen, da die An-erkennung der Vaterschaft bereits vor der Geburt möglich ist, so dass das Kind dann zwei unterhaltspflichtige Eltern hat.

Die Möglichkeit solcher Unterhalts-klagen von vielen Juristen als nicht real angesehen!

Stiefkind-Adoption

Die seit 2005 für Frauen in einer eingetragenen Partnerschaft mögliche Stiefkind-Adoption hat zu einer deutlich besseren rechtlichen Absicherung dieser Familien geführt, in-dem nun beide Mütter rechtlich Eltern des Kindes werden können. Dennoch ist das Verfahren für lesbische Mütter unangemessen bürokratisch und langwierig. Konzipiert für Kinder aus einer früheren (heterosexuellen) Beziehung, die in eine neue Partnerschaft eingegliedert werden sollen, berücksichtigt es nicht, dass das Kind in eine bestehende Beziehung der beiden Elternteile hineingeboren wird.

Die Stiefkind-Adoption kann erst nach der Geburt des Kindes beim Vormundschaftsgericht beantragt werden. Die Einwilligung der Mutter kann frühestens acht Wochen nach der Geburt erfolgen. Das Jugendamt prüft dann die Eignung des zukünftigen Stiefelternteils, unter anderem die wirtschaftlichen und gesundheitlichen Verhältnisse. Oft wird eine unterschiedlich bemessene „Adoptionspflegzeit“ festgelegt, um zu prüfen, ob sich zwischen dem Kind und dem Stiefelternteil eine stabile, für das Kind förderliche Beziehung entwickelt. Schließlich wird in einer gerichtlichen Anhörung über den Antrag entschieden. Das Verfahren ist belastend, da mehrfache Behördentermine wahrgenommen und zahlreiche Unterlagen und notariell beglaubigte Erklärungen beschafft werden müssen.

Auch die Einführung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare hat an dieser Situation nichts geändert. Eine rechtliche Gleichstellung soll ein neues Abstammungsgesetz bringen, in dem auch Partnerinnen von schwangeren Frauen bereits während der Schwangerschaft die Elternschaft anerkennen können. Dieses Gesetz wurde jedoch bisher nicht verabschiedet. Stattdessen ist zu befürchten, dass eine Neuregelung die Stiefkind-Adoption weiter erschwert, indem eine Pflichtberatung eingeführt werden soll, die auch den Samenspender einschließt.

Fragen und Entscheidungsprozesse

Eine zentrale Überlegung bei der Entscheidung für einen privaten Samenspender oder Samen von einer Samenbank ist, welche Rolle der Samenspender für die Familie und das Kind spielen soll. Soll das Kind die Möglichkeit haben, ihn irgendwann kennen zu lernen? Soll es unregelmäßigen oder regelmäßigen Kontakt mit ihm haben und ihn als Vater kennen? Oder soll der Samenspender als Vaterfigur in der Familie leben? Die Paare müssen bedenken, dass die Bindung zum Kind für die biologische Mutter möglicherweise enger ist als für die soziale Mutter. Die soziale Mutter kann sich in Konkurrenz zum biologischen Vater sehen. Die Rolle des Samenspenders in der zukünftigen Familie spielt daher nicht nur für das Kind, sondern auch für die Familienkonstellation eine große Rolle.

Neben persönlichen Wünschen spielt bei dieser Entscheidung allerdings eine wesentliche Rolle, welche Möglichkeiten überhaupt verfügbar und zugänglich sind.

Außerdem setzen sich zukünftige lesbische Mütter damit auseinander, wie sich das Aufwachsen mit zwei Müttern auf die Entwicklung der Kinder auswirkt und wie die Kinder mit möglichen Diskriminierungserfahrungen in ihrem sozialen Umfeld umgehen werden. Die Sorge um die psychische Entwicklung von Kindern, die mit gleichgeschlechtlichen Eltern aufwachsen, wurde durch zahlreiche Studien aus den letzten zwanzig Jahren ausgeräumt. Diese belegen, dass es im Vergleich zu heterosexuellen Paaren keine Unterschiede hinsichtlich der Entwicklung der Kinder gibt [25]. Auch zur Situation in Deutschland wurde eine Studie veröffentlicht, die eine unauffällige Entwicklung der Kinder belegt [26].

Die Auseinandersetzung mit diesen Fragen und die Suche nach einem passenden Samenspender dauern meist viele Monate bis Jahre.

Suche nach einem privaten Samenspender

Die meisten Frauen wünschen sich für ihr Kind die Möglichkeit, den biologischen Vater kennenzulernen oder zumindest gelegentlichen Kontakt zu ihm zu haben und würden daher einen privaten Samenspender bevorzugen. Die Suche danach gestaltet sich aber oft schwierig. Es ist nicht leicht, sich mit einer so persönlichen Anfrage an Männer im eigenen Umfeld zu wenden. Dabei ist mit emotionalen und möglicherweise ablehnenden Reaktionen zu rechnen, die ausgehalten und verarbeitet werden müssen, um trotz solcher Fehlschläge neue Anläufe starten zu können.

Wenn die Anfrage auf grundsätzliche Bereitschaft beim potenziellen Samenspender stößt, müssen Wünsche und Vorstellungen in Bezug auf die Elternrolle aller Beteiligten möglichst konkret besprochen und in Einklang gebracht werden. Sichere rechtliche Regelungen sind für keine der Seiten möglich. Die lesbischen Mütter können beispielsweise nicht ausschließen, dass der Vater den Umgang mit dem Kind einklagt. Um-gekehrt kann sich der Samenspender nicht vollständig gegen Unterhaltsansprüche absichern. Rechtliche Beratung, auch über Möglichkeiten und Wirkung von Verträgen, ist dennoch empfehlenswert. Auch in dieser Phase der Gespräche kommt es oft zu Rückzügen auf der einen oder anderen Seite.

Inzwischen gibt es spezifische Medien, um Samenspender zu finden. Dieser Weg birgt andere Schwierigkeiten als die Suche im privaten Umfeld. Zwar ist die Bereitschaft zur Samenspende geklärt, aber es müssen mit völlig fremden Männern sehr persönliche Fragen zu Vaterschaft und Mutterschaft diskutiert und in Bezug auf die Infektionsrisiken auch die sexuellen Gewohnheiten des potenziellen Samenspenders angesprochen werden. Auch mit diesem Weg machen einige Lesben positive Erfahrungen, andere haben unangenehme Begegnungen.

Die Bereitschaft zur Samenspende erfordert praktisches Engagement des Spenders. Er sollte sich auf durch die Samenspende übertragbare Infektionen untersuchen lassen und am besten auch die Samenqualität testen lassen. Er muss, möglicherweise über Monate, kurzfristig zum richtigen Zeitpunkt für die Samenspende verfügbar sein, was entsprechende Flexibilität und räumliche Nähe voraussetzt. Außerdem muss er in dieser Zeit das Risiko sexuell übertragbarer Infektionen nicht nur für sich und seine Sexualpartner und –partnerinnen, sondern auch für die Empfängerin der Samenspende bedenken.

Nutzung von Samenbanken

Viele Lesben brechen die Suche nach einem privaten Samenspender nach einigen Monaten bis Jahren erfolglos ab und wenden sich den Angeboten von Samenbanken zu. Andere scheuen den privaten Weg gänzlich und bevorzugen von Anfang an professionelle Angebote. Diese bieten Sicherheit in Bezug auf Infektionsrisiken und die Qualität des Spermas sowie klare Regelungen zum Kontakt zwischen Kind und Samenspender. Die Spenderdaten werden in einem zentralen Spendersamenregister dokumentiert und 30 Jahre lang aufbewahrt. Ab dem 16. Lebensjahr kann das Kind Informationen zur Identität des Spenders bekommen.

Inzwischen bietet die Mehrzahl der deutschen Samenbanken ihre Leistungen auch Frauen in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften an. Die Kosten sind sehr unterschiedlich und schwer kalkulierbar, da sie sich aus verschiedenen Posten zusammensetzen (Grundgebühr für Beratung, Auswahl des Spenders und Reservierung von Proben, Gebühren für die Samenproben, Versandkosten).

Die meisten geben den Samen nur an Kinderwunschpraxen ab. Zwar nimmt die Zahl von Zentren zu, die Inseminationen und auch weitergehende Behandlungen bei Frauen in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften anbieten, die Leistungen müssen jedoch komplett privat bezahlt werden. In grenznahen Regionen bietet sich auch der Weg ins Ausland, vor-wiegend nach Dänemark oder in die Niederlande, wo schon seit vielen Jahren offene Angebote bestehen. In der Regel müssen die Frauen für die Inseminationen sowohl in deutschen Kinderwunschzentren als auch im Ausland lange Anreisen auf sich nehmen, die zusätzliche Kosten und erheblichen zeitlichen Aufwand bedeuten. Eine viel genutzte dänische Samenbank verschickt auch Samen nach Deutschland, üblicherweise an Arztpraxen, aber auch direkt an Privatpersonen.

Insemination zu Hause oder in der Praxis

Den optimalen Zeitpunkt für die Insemination können die Frauen mit Hilfe von LH-Teststreifen selbst bestimmen. Am Tag der maximalen LH-Anzeige und dem folgenden Tag kann inseminiert werden, da der Eisprung meist 24–36 Stunden nach dem LH-Anstieg stattfindet. Auch die Schleimbeobachtung ist zur Bestimmung der fruchtbaren Tage geeignet und kann zusammen mit den LH-Tests durchgeführt werden. Die Basaltemperaturmessung ist nicht hilfreich, da sie lediglich rückblickend den Eisprung bestätigt.

Ob darüber hinaus ein Zyklusmonitoring per Ultraschall und Hormonbestimmungen sinnvoll ist, wird unterschiedlich beurteilt. Der finanzielle und organisatorische Aufwand im Zusammenhang mit den Inseminationen kann diese Untersuchungen auch schon bei der ersten Insemination rechtfertigen. Spätestens nach einigen erfolglosen Versuchen sind weitergehende Untersuchungen in jedem Fall hilfreich.

Mit frischem Samen ist das Zeitfenster für die Insemination größer, da die Spermien länger befruchtungs- fähig sind als bei kryokonserviertem Sperma. Daher kann auch schondrei Tage vor dem erwarteten Eisprung inseminiert werden und eventuell zweimal im Abstand von ein bis zwei Tagen. Mit einem privaten Samenspender inseminieren die meisten Frauen zu Hause. Das Sperma kann -in einem Urinbecher mit Deckel transportiert werden. Es muss möglichst körperwarm gehalten werden und ist so einige Stunden beruchtungsfähig. Zur Insemination wird der Samen mit einer normalen Spritze möglichst tief in die Vagina in die Nähe des Muttermunds gespritzt.

Kryokonserviertes Sperma ist maximal 24 Stunden befruchtungsfähig, es muss also möglichst nah am Zeitpunkt des Eisprungs inseminiert werden. Die Schwangerschaftsrate mit kryokonserviertem Samen ist bei einer intrauterinen Insemination (IUI) höher als bei der Insemination vor den Muttermund. Grundsätzlich kann aber auch mit kryokonserviertem Sperma zu Hause intravaginal inseminiert werden, wenn es direkt nach Hause geschickt oder aus einer Arztpraxis mitgenommen wird. Es hat nur ein Volumen von 0,5–1ml, daher ist eine entsprechend englumige Spritze hilfreich. Um das Sperma vollständig aus der Spritze in die Vagina zu befördern, sollte nach der Insemination mit Luft nachgespült werden.

Schwangerschaftsraten

Angaben zur Schwangerschaftsrate sind schwierig, da die vorhandenen Daten sich auf die IUI mit Kryosperma bei heterosexuellen Paaren mit männlicher Infertilität und möglicher Subfertilität der Frau beziehen. Für lesbische Frauen existieren Daten nur in geringen Fallzahlen. Mit frischem Sperma ist die Chance auf eine Schwangerschaft auch bei Insemination in die Vagina größer. Eine Auswertung von 4.415 IUI-Zyklen mit Kryosperma in unstimulierten Zyklen bei heterosexuellen Paaren mit männlicher Infertilität sowie lesbischen Frauen erbrachte die in Tabelle 2 genannten Schwanger-schaftsraten [27].

Ausbleibende Schwangerschaft

Der Weg zu einer Schwangerschaft ist für lesbische Paare in der Regel aufwändiger als für heterosexuelle Paare. Wie körperlich und psychisch belastend eine Kinderwunschbehandlung ist, ist von heterosexuellen Paaren bekannt. Dies sollte bei der Betreuung der Paare bedacht wer-den. Zwischen den Inseminations-zyklen sollte zu Pausen geraten werden, um Gefühle von Enttäuschung und Trauer verarbeiten zu können.

Darüber hinaus ist es sinnvoll, sich frühzeitig damit auseinanderzusetzen, dass sich der Kinderwunsch möglicherweise nicht verwirklichen lässt. Ohne diese Reflexion besteht die Gefahr, nach jedem misslungenen Versuch möglichst rasch den nächsten Anlauf zu starten, um der Enttäuschung mit neuer Hoffnung zu begegnen.

Zusammenfassung

Mit 10–20 % stellen nicht heterosexuell lebende Frauen in der gynäkologischen Praxis eine relevante, aber bisher wenig wahrgenommene Gruppe dar. Oft wird die sexuelle Orientierung in der Praxis nicht thematisiert. Diskriminierungserfahrungen in Praxen und Kliniken führen zu einer verminderten Inanspruchnahme auch im Krankheitsfall. Das kann durch akzeptierende Versorgungsstrukturen vermieden werden. Spezifische Fragen bestehen in Bezug auf sexuell übertragbare Infektionen, von denen zumindest einige Gruppen lesbisch oder bisexuell lebender Frauen nicht selten betroffen sind. Da sexuelle Identität und Verhalten nicht immer deckungsgleich sind, erleichtert eine sensible Anamneseerhebung zum aktuellen sexuellen Verhalten die Einschätzung des aktuellen Infektionsrisikos.

Ein häufiges Anliegen von Frauen in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften ist die Verwirklichung ihres Kinderwunsches – sei es mit Hilfe eines Samenspenders aus dem privaten Umfeld oder durch Kryosperma von einer Samenbank. Bei beiden Wegen bestehen spezifische rechtliche, psychosoziale und medizinische Fragen, für die Beratung und medizinische Unterstützung hilfreich sind. Auch im Zusammenhang mit Krebserkrankungen spielt die sexuelle Orientierung eine Rolle. Nicht heterosexuell lebende Frauen können durchspezifische Ansprache zur Teilnahme an Früherkennungsuntersuchungen ermutigt werden. Im Falle einer Krebserkrankung ist die Partnerin oft die wichtigste Unterstützungsperson, die in die Betreuung einbezogen werden sollte.

Schlüsselwörter: Lesbische Frau, Bisexuelle Frau, Kinderwunsch, sexuell übertragbare Infektionen

Korrespondenzadresse:
Helga Seyler
Familienplanungszentrum HH e.V. (FPZ)
Bei der Johanneskirche 20
22767 Hamburg

Slide Lesbische und bisexuelle Patientinnen in der gynäkologischen Praxis Gyne 07/2020

Literatur:

  1. Pöge Ketal. Die gesundheitliche Lage von lesbischen, schwulen, bisexuellen sowie trans-und intergeschlechtlichen Men-schen.JHealthMonitor2020;5:1–30
  2. Matthiesen S et al. Sexuelles Verhalten, Einstellungen und sexuelle Gesundheit in Deutschland. Erste Ergebnisse einer Pilotstudie zur Erwachsenensexualität. UKE Hamburg; BZgA, Köln; Kantar Emnid, Bielefeld 2017
  3. Bode H & Heßling A. Jugendsexualität 2015. Die Perspektive der 14-bis 25-Jähri¬gen. Ergebnisse einer aktuellen Repräsentativen Wiederholungsbefragung. BZgA 2015
  4. Haversath J et al. Sexualverhalten in Deutschland. Dtsch Arztebl Int 2017; 114: 545–550
  5. Dennert G. Die gesundheitliche Situation lesbischer Frauen in Deutschland – Ergebnisse einer Befragung. 2005; Herbolz-heim: Centaurus
  6. HuntR& Fish J. Prescription for change. Lesbian and bisexual women“s health check. 2008. Stonewall De Montfort University. http://www.stonewall.org.uk/ sites/default/files/Prescrip
  7. LesMigraS, Antigewalt-und Antidiskriminierungsbereich der Lesbenberatung Berlin e.V. „Nicht so greifbar und doch so real“. Eine quantitative und qualitative Studie zu Gewalt-und (Mehrfach-) Diskriminierungserfahrung von lesbischen, bisexuellen Frauen und Trans* in Deutschland. 2012. http://www.lesmigras.de/ tl_files/lesbenberatung-berlin/Gewalt% 20(Dokus, Aufsaetze …)/Dokumentation %20Studie%20web_sicher.pdf
  8. Dennert G. Gesundheit lesbischer und bisexueller Frauen. in: Kolip, P & Hurrel¬mann, K (Hrsg). Handbuch Geschlecht und Gesundheit Männer und Frauen im Vergleich 2016; Bern: Hogrefe
  9. Dennert G. Die psychische Gesundheit von Lesben und Schwulen – eine Über¬sicht europäischer Studien. Verhaltenstherapie und Psychosoziale Praxis 2006; 38: 559–576
  10. IOM Institute of Medicine. The health of lesbian, gay, bisexual, and transgender people. Building a foundation for better understanding. The National Academies Press Washington DC 2011
  11. Küpper B et al. Einstellungen gegenüber lesbischen, schwulen und bisexuellen Menschen in Deutschland. Ergebnisse einer bevölkerungsrepräsentativen Um- frage. Antidiskriminierungsstelle des Bun- des 2017
  12. Hanafi El Siofi M & Wolf G. Gewalt- und Diskriminierungserfahrungen von lesbi- schen/bisexuellen Frauen und Trans*Men- schen in der BRD und Europa — eine Stu- dienübersicht. 2012. http://www.vIsp.de/ files/pdf/gewaltdiskriminierung_von_ Isb_ft.pdf (zugegriffen am 26.7.2020)
  13. Howell LC & Beth A. Pioneers in our own lives: grounded theory of lesbians midlife developement. !Women Aging 2004; 16: 133-147
  14. Winterich J. Sex, menopause, and culture. Sexual orientation and the meaning of menopause for women’s sex lives. Gender & Society 2003; 17: 627-642
  15. Cochran SD & Mays VM. Risk of breast cancer mortality among women cohabiting with sa- me sex partners: findings from the National Health Interview Survey, 1997-2003. J Wo- mens Health 2012; 21: 528-533
  16. Marraizo JM et al. Papanicolaou test screening and prevalence of genital hu- man papillomavirus among women who have sex with women. Am J Public Health 2001; 91: 947-952

Vollständige Literaturliste unter: https://medizin.mgo-fachverlage.de/gyne/literatur-gyne/

Gyne 05/2020 – Das Nationale Gesundheitsziel „Gesundheit rund um die Geburt“: Eine Sensation in vielerlei Hinsicht

Gyne 05/2020

Das Nationale Gesundheitsziel „Gesundheit rund um die Geburt“: Eine Sensation in vielerlei Hinsicht

Autorin:

Ulrike Hauffe

Das nationale Gesundheitsziel „Gesundheit rund um die Geburt“ ist für uns alle eine großartige und spannende Herausforderung. Es stellt an alle, die fachlich in die Lebensphasen Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und erstes Lebensjahr des Kindes eingebunden sind die Frage, welche Rolle sie mit ihrer Profession, mit ihrem Arbeitsansatz, mit ihrer Haltung zu diesem wichtigen Lebensabschnitt von Frauen und Eltern haben und haben wollen. Anforderungen und Vorschläge zu interdisziplinärer Zusammenarbeit können eine Bereicherung der frauenärztlichen Praxis sein. Denn gerade die Frauenheilkunde hat im Versorgungssystem eine zentrale Bedeutung.

Leicht wird missachtet, welche grundlegenden Weichen bei Frauen und Paaren für das Erleben und Erfahren  von  Schwangerschaft,  Geburt und dem Wochenbett gestellt werden. Das gilt z. B. für die innerfamiliale Haltung und Gestaltung gesundheitlichen und gesundheitsfördernden Verhaltens: Gerade in dieser Lebensphase werden tiefenwirksame Grundlagen für  Verantwortungsübernahme geschaffen, für individuelle, familiale und gesellschaftliche Lebensgestaltung. Jedoch: Gerne wird erst mit der Geburt der Kinder die Zeitrechnung „Familie“ begonnen. Viele Publikationen zeugen von dieser Vorgehensweise. Und es wird  unterschätzt, welche Rolle Hebammen und FrauenärztInnen für genau jene familiale Haltungsbildung spielen, wenn ihnen als  Berufsgruppen offensichtlich in Fragen familialer sozialer Entwicklung eher eine geringe Rolle zugeschrieben wird.

Warum ist es wichtig, sich Schwangerschaft und Geburt besonders anzuschauen? Wie stark bahnen Erfahrungen in der Schwangerschaft und bei der Geburt die Befähigungen von Eltern, die (neue) Familiensituation zu meistern?

Wir beobachten über viele Jahre bis Jahrzehnte eine sich ständig steigernde Risikozuschreibung bei Schwangerschaft und Geburt. Ich will an dieser Stelle nicht im Detail erläutern, was an dieser Entwicklung sinnvoll oder unsinnig war. Auf jeden Fall können wir aber konstatieren, dass es auch ein sehr deutscher Weg war und ist – der „unterwegs“ auch immer mal geändert  wurde. Wenig wurde darüber nachgedacht, ob und wie eine derartige Risikozuschreibung die Haltung von Frauen zum Leben, zu ihrer Verantwortung, zum „geschehen lassen“ beeinflusst. Kontrolle war und ist das Diktat. Kontrolle von vermeintlichen Risiken kann jedoch iatrogene Folgen haben, die langfristig und nachhaltig wirken. Nicht mehr: „Ich kann!“, sondern  eher: „Ich lass machen!“ griff und greift um sich. Auch die individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL) bahnen, indem medizinische – hier diagnostische – Leistungen wie z. B. häufiger als vorgegebene Ultraschalluntersuchungen zu Dienstleistungen werden, die kaufbar sind, wie in einem Warenhaus.

Aus all diesen Überlegungen entwickelte sich die Perspektive, ein nächstes nationales Gesundheitsziel zu entwickeln, das Schwangerschaft, Geburt und das erste Lebensjahr der Familie und des Kindes umfasst. Nationale Gesundheitsziele werden in einem Verbund erarbeitet, der ein breiter Zusammenschluss von Entscheidungsträgern der Spitzenverbände im Gesundheitswesen ist [1]. Die Arbeitsgruppen der jeweiligen Gesundheitsziele werden dann selbstverständlich fachlich zusammengesetzt. Aufgrund ihrer gesundheitspolitischen Bedeutung wurden die Gesundheitsziele auch in das Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention (Präventionsgesetz) aufgenommen.

Anfang   2017   präsentierte   das Bundesministerium   für   Gesundheit (BMG) das nunmehr neunte Gesundheitsziel: „Gesundheit rund um die Geburt“.  Es nimmt eine „an Wohlbefinden und Gesundheit ausgerichtete Perspektive ein“, heißt es und dass „vorhandene  Ressourcen und Potenziale (von Frauen) umfassend gefördert und eine Pathologisierung vermieden“ werden soll [2]. Leitgedanke ist also ein positives Verständnis von Potenzial und Ermächtigung, die sog. Salutogenese. Und nicht wie es sonst im Alltag des Gesundheitssystems üblich ist, Schwangerschaft potenziell als Risiko und allzu oft als krankheitsähnlichen Zustand zu betrachten. Das ist nichts weniger als eine – öffentlich weitgehend unbeachtet gebliebene – Sensation.

Das neue nationale Gesundheitsziel „Rund um die Geburt“

Das neue Gesundheitsziel ist ein Durchbruch. Denn hier haben sich wichtige AkteurInnen im Gesundheitswesen interdisziplinär auf nationaler Ebene in einem Klärungsprozess innerhalb des Gesundheitsziele-Dialogs für ein Thema entschieden und sich in einem angeleiteten Prozess zu einer gemeinsamen Position durchgerungen. Ihre Feststellung: In den Bereichen Schwangerschaftsbetreuung, Geburtshilfe und Wochenbett besteht deutlicher Handlungsbedarf.

Und nachdem zunächst das Gesundheitsziel „Gesundheit rund um die Geburt“ Teil des Gesundheitsziels „Gesund aufwachsen“ sein sollte, wurde während der Erarbeitung allen Beteiligten und den übergeordneten Entscheidungsgremien deutlich, dass dieses Gesundheitsziel so bedeutend ist, dass es einen eigenen Stellenwert bekommen sollte.

Vorweg: Die Inhalte sind allesamt nicht wirklich neu für diejenigen, die in diesen Feldern arbeiten und schon lange die Pathologisierung von Schwangerschaft und Geburt kritisieren sowie diejenige, die eher einen psychosomatischen Zugang suchen und sich für eine Stärkung der natürlichen Prozesse entlang der gegebenen Potenziale von Frauen und ihren Familien einsetzen. Dass dies nun aber nicht nur aus der „Frauenecke“ kommt, sondern von Krankenkassen bis hin zu Ärzteverbänden, Ministerien und weiteren Akteuren allgemein anerkannt und nach Veränderung gesucht wird, ist mehr als bedeutsam.

Ermächtigung statt Entmachtung

Der Leitgedanke des Gesundheitsziels ist ein positives Verständnis von Potenzial und Ermächtigung, die so genannte Salutogenese. Dafür haben Frauenverbände lange gekämpft – seit den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Damalige Themen waren u. a. keine programmierte Geburt, Begleitung durch den werdenden Vater, Stillen unmittelbar nach der Geburt und Rooming-In.

Macht und Ohnmacht ist ein wesentliches Thema von Frauenpolitik. Dieses Spannungsfeld findet sich auch in einem patriarchal und machtdominant erscheinenden Medizinbetrieb wieder. Warum „patriarchal“ und „machtdominant“? Gemeint sind hier nicht prioritär die Fachpersonen, sondern die gesellschaftliche Rolle, die der Medizinbetrieb (bekommen) hat: Überwachung,  Steuerung,  Heilsversprechung. Schwangerschaft und Geburt sind jedoch nur begrenzt kontrollierbare Geschehnisse, nicht wie eine Operation nach einer Diagnose und einem Therapieplan. Und es kann nicht Sinn sein, dass Frauen die Verantwortung für das Geschehen an das gerne übernehmende Medizin“system“ abgeben. Das alles hätte Konsequenzen, die wir nicht wollen können. Es bedarf also der Wiederaneignung weiblichen Ur-Könnens – schwanger sein und gebären. Übrigens: Gebären, nicht entbinden.  Gebären machen Frauen selbst, die Entbindung machen andere. Uns droht, das Wort „gebären“ abhanden zu kommen. Ich plädiere sehr dafür, dieses Wort wieder mehr zu benutzen, sprachlich im Sinne von Ermächtigung statt Entmachtung.

Was genau steht im neuen Gesundheitsziel?

Das große Ziel „Gesundheit rund um die Geburt“ hat 5 Abschnitte: die Ziele 1–5, entsprechend der Phasen im Verlauf. Jedes der 5 Ziele ist in mehreren Teilzielen ausformuliert, für deren Umsetzung wir Empfehlungen aufgestellt haben. Das allein würde aber nicht ausreichen. Entscheidend ist, dass den Zielen und Teilzielen jeweils Maßnahmen und institutionelle AkteurInnen sowie relevante Berufsgruppen und MultiplikatorInnen zugeordnet sind. Damit sind ihnen quasi Handlungsaufträge erteilt: Sie sind zuständig, dass sich hier etwas bewegt!

Nachfolgend die ersten drei Ziele exemplarisch ausführlicher; das vierte und fünfte als Überschrift:

1. Eine gesunde Schwangerschaft wird ermöglicht und gefördert.
a. Gesundheitliche Ressourcen und Kompetenzen sowie das Wohlbefinden sind gestärkt.
b. Evidenzbasierte Grundlagen zu Information, Beratung und Versorgung sind entwickelt und werden einheitlich in der Praxis eingesetzt.
c. Belastungen und Risiken sind identifiziert und verringert.
d. Der Anteil der Frauen, die während der Schwangerschaft und Stillzeit auf schädliche Substanzen wie Alkohol und Tabak verzichten, ist erhöht. Folgeschäden sind reduziert.
e. Die Frühgeburtsrate ist gesenkt.
f. Besondere Unterstützungsbedarfe sind identifiziert und spezifische Angebote sind entwickelt und vermittelt.
g. Die an der Versorgung beteiligten Berufsgruppen arbeiten konstruktiv und partnerschaftlich zusammen und gewährleisten eine kontinuierliche Betreuung.

2. Eine physiologische Geburt wird ermöglicht und gefördert.
a. Eine interventionsarme Geburt wird gefördert. Gesundheitliche Ressourcen sind gestärkt.
b. Belastungen, Risiken und besondere Unterstützungsbedarfe sind identifiziert und spezifische Angebote sind entwickelt und vermittelt.
c. Die an der Geburt beteiligten Berufsgruppen arbeiten konstruktiv und partnerschaftlich zusammen und gewährleisten eine kontinuierliche Betreuung.

3. Die Bedeutung des Wochenbetts und die frühe Phase der Elternschaft sind anerkannt und gestärkt.
a. Die Bedeutung des Wochenbetts ist anerkannt. Vorhandene Ressourcen und Kompetenzen sowie das Wohlbefinden der Eltern zur Bildung einer Familie werden gestärkt.
b. Der Anteil der stillenden Mütter sowie die Stilldauer sind erhöht.
c. Komplikationen und Belastungen im Wochenbett werden frühzeitig erkannt und/oder vermieden.
d. Beeinträchtigungen der kindlichen Entwicklung werden frühzeitig erkannt und mithilfe spezifischer Maßnahmen aufgefangen.
e. Eine Verbesserung der Zusammenarbeit in den Bereichen Kinderschutz und Frühe Hilfen ist gewährleistet.

4. Das erste Jahr nach der Geburt wird als Phase der Familienentwicklung unterstützt.

5. Lebenswelten und Rahmenbedingungen rund um die Geburt sind gesundheitsförderlich gestaltet.

So ist das Konzept der frau-, kind- und elternzentrierten Betreuung aus der Perspektive der Betroffenen weiter zu entwickeln und bei allen Berufsgruppen zu verankern. Evidenzbasierte und leicht verständliche Informationen sollen entstehen, die verschiedenen Berufsgruppen sind gehalten, gemeinsam (!) Leitlinien zu erarbeiten.

Der Prozess der Entstehung: die Rolle der Frauengesundheitsbewegung

Die Entscheidung, ein nationales Gesundheitsziel  zum  Thema  Schwangerschaft und Geburt zu erarbeiten, war kein Selbstläufer. Dem Prozess – und es war ein langer, konflikt- und diskussionsreicher Prozess – sind viele Kampagnen vorausgegangen. Wesentlich war hier das Positionspapier des AKF e.V., in dem es heißt, dass es höchste Zeit sei, „den Umgang mit Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett zu überdenken“, und die AKF-Kaiserschnitt-Kampagne [3, 4]. Auch die AKF-Fachtagung 2014 zur Kaiserschnittrate und deren Senkung hat hier gewirkt. (Zum Verständnis: Der AKF ist der einzige interdisziplinäre  Zusammenschluss von Fachfrauen zu Themen der Frauengesundheit in Deutschland. Neben den fast 500 Mitgliedern sind über 60 Verbände als juristische Personen Mitglied. Er wird regelmäßig sachverständig auf Bundesebene angehört. Die Jahrestagungen sind immer wertvolle Quellen für zukunftsgerichtete Frauengesundheitspolitik.)

Schon 2014 hat die Konferenz der Gleichstellungs- und Frauenministe- rinnen und -minister (GFMK) ein- stimmig beschlossen, dass die Zu-stände in der Geburtshilfe und die hohen Schnittraten nicht länger hinnehmbar seien. Auch das war bereits ein Durchbruch. Neben dem Druck der Fachverbände gibt es auch zunehmenden Druck von unten, von den Eltern: Der Verein Mother Hood e.V. beispielsweise, der als Elternverein gemeinsam mit anderen Fachverbänden auf die Pathologisierung und Medikalisierung von Schwangerschaft und Geburt aufmerksam macht, hat in der Zwischenzeit hohes Mobilisierungspotenzial. Aber das zentrale Thema ist die Entmedikalisierung von Schwangerschaft und Geburt schon seit den 1970er Jahren– der Beginn der Frauengesundheitsbewegung in Westdeutschland.

Konsens der 30

30 Organisationen haben kontinuierlich in der Arbeitsgruppe „Gesundheit rund um die Geburt“ mitgearbeitet (alle Beteiligten sind auf der Website www.gesundheitsziele.de aufgeführt). Hier nur einige Player: die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. (DGGG), die Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe e.V. (DGPFG), der AKF; für die Hebammen die Hochschule für Gesundheit Bochum, die Medizinischen Hochschule Hannover, die Hochschule Osnabrück und die Deutsche Gesellschaft für Hebammenwissenschaft e.V.; die Universität Bielefeld (Lehrstuhl für Psychologie), das Universitätsklinikum Lübeck (Kinder- und Jugendmedizin), die Bundesärztekammer, die kassenärztliche Bundesvereinigung, die deutsche  Krankenhausgesellschaft (DKG), AOK und BARMER, GKV-Spitzenverband und sein Medizinischer Dienst (MDS), das Bundesministerium für Gesundheit (BMG), zwei Vertreterinnen der Gesundheitsministerkonferenz der Länder (GMK), eine Vertreterin aller Frauen- und Gleichstellungsministerkonferenz der Länder (GFMK) und eine der Jugend- und Familienministerkonferenz der Länder (JFMK), die Deutsche Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen, der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD), das Robert Koch-Institut (RKI), die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) und pro familia.

Es ist unschwer zu erkennen, welches Diskussionspotential in dieser Zusammensetzung steckt. Nach anfänglich schwierigen Debatten ist es den Beteiligten aber gelungen, sehr schnell konsensorientiert zu arbeiten.

Erster Schritt: Grundhaltung finden

Der wichtigste Schritt zu Beginn der Arbeit war die Einigung auf eine Grundhaltung, die das Gesundheitsziel tragen soll – nämlich: an den Ressourcen der Frauen ansetzen. Wir hatten also zu beraten und zu konzipieren, wie diese vorhandenen Fähigkeiten freigelegt und gestärkt werden sowie Unterstützung erfahren können. Und wir hatten herauszufinden, wo die Fallen einer unnötigen Pathologisierung zu finden sind – und wie wir sie beeinflussen können. Wegen der zentralen Rolle der frauenärztlich Tätigen gilt es hier, besondere Aufmerksamkeit den Fähigkeiten der Frauen, ihrer Resilienz zu widmen. Vielleicht wird geahnt, dass diese Haltung und Sicht auf das Geschehen im Laufe des Entwicklungsprozesses immer wieder aufgerufen werden musste. Zu eingefahren ist die heute vielfach vorherrschende Sicht auf Schwangerschaft und Geburt als Risikogeschehen, in das jederzeit einzugreifen Überlebenswichtig sei. Auch wenn wir sie in unserer Runde in Worten überwunden hatten: eine andere Haltung will auch geübt sein. Das haben wir wahrlich getan.

Kneifen geht nun nicht mehr

Formal ist das Gesundheitsziel eine Selbstverpflichtung der beteiligten Institutionen. Die Maßnahmen tragen den Charakter von Empfehlungen, denen man ja bekanntlich folgen kann – oder auch nicht. Das mag manche enttäuschen. Aber ich plädiere dafür, das Niveau zu sehen, auf dem wir diese Einigung miteinander getroffen haben: ganz oben nämlich. Die Bundesspitzen der beteiligten Verbände haben die Inhalte beschlossen. Die Diskussionen darum waren langwierig, äußerst kontrovers und mitunter sehr zäh. Sich hierauf zu verständigen und es als Selbstverpflichtung anzuerkennen, wird Handeln nach sich ziehen – müssen. Diejenigen, die sich auf dieses Ziel verpflichtet haben, sind quasi zur Umsetzung verpflichtet. Kneifen geht nicht, ohne sich unglaubwürdig zu machen. Und das wird keine der Parteien wollen.

Das Gesundheitsziel mit seinen konkreten Teilzielen ist wie ein Pflichtenheft, das nun abzuarbeiten ist. Das wird dauern. Nicht jede Maßnahme wird mit gleichbleibend großem Engagement angegangen werden. Das hat dann weniger mit Nicht-Wollen zu tun, sondern mit der Langfristigkeit der hier angelegten Prozesse und dem ihnen innewohnenden Verschleißpotenzial. Die Gefahr, dass das eine oder andere Teilziel auf der Strecke bleibt, ist in meinen Augen durchaus real. Deshalb müssen wir nachfragen und einfordern, dass die Schritte, die wir formuliert haben, auch gegangen werden. Wir tun das auf starker Grundlage: auf gemeinsam geeinten Werten und Zielen aller Beteiligten, hinter die es nun nicht mehr zurückgeht. Und das Thema darf nicht in den Fachkreisen steckenbleiben. Denn wir haben konsequent versucht, aus der Perspektive von Frauen, Eltern und den Kindern zu denken. Das bedeutet auch, genau jene und andere benachbarte Gruppen und Institutionen miteinzubeziehen. Schwangerschaft und Geburt sind mehr als ein physiologischer Vor- gang. Hier gemachte Erfahrungen reichen weit in die individuelle und kollektive Nutzung unseres Gesundheits- und Sozialsystems.

Was ist in der Zwischenzeit geschehen – zumindest und wirklich nur ausschnittweise? Ich berichte nicht über die vielen Vorträge, die schon gehalten wurden, sondern konzentriere mich auf die Darstellung von Ereignissen, die eine breitere Wirkung entfalten können und deren Akteure potentielle Bündnispartner sind:

– Befassung verschiedener Länderparlamente (u. a. Bremen, Niedersachsen, Baden-Württemberg, Hessen)
– Befassung im Frauen- und Gleichstellungsausschuss und Gesundheitsausschuss des Deutschen Städtetags (DST) (03.2017)
– Bedienung diverser Fachkongresse (u. a. DGGG, DGPFG)
– Bremer Bündnis für die natürliche Geburt: Bremer Empfehlungen zur Unterstützung der natürlichen Geburt – hat bisher als Modell für andere Bundesländer und Kommunen gewirkt (04.2015)
– Beschlüsse der Gleichstellungs- und Frauenministerinnen-Konferenz (GFMK: 10.2014 zur natürlichen Geburt und 06.2017 zum Gesundheitsziel)
– Beschluss der Jugend- und Familienministerinnen-Konferenz (JFMK: 06.2017)
– Beschluss der Gesundheitsministerinnen-Konferenz (GMK: 07.2017)
– Veröffentlichung der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin (05.2017)
– Beauftragung und Bearbeitung einer S 3-Leitlinie zum Kaiserschnitt (Veröffentlichung am 13.06.2020) – Mittel von 250.000 Euro fließen in diese und die noch folgende S 3-Leitlinie zur physiologischen Geburt

Dieses nationale Gesundheitsziel ist nicht vollständig. Das bedeutet, dass Inhalte, Themen und Probleme, die nun im Umsetzungsprozess identifiziert werden, zur weiteren Formulierung hinzugezogen werden (können). Es ist also „work in progress“.

In der Zwischenzeit hat das nationale Gesundheitsziel so weite Kreise gezogen, wie noch keines zuvor. Der Kooperationsverbund www.gesund- heitsziele.de hat entschieden, dass die Erfahrungen aus den Umsetzungsstrategien dieses Gesundheitsziels auf andere Gesundheitsziele übertragen werden sollen. Die 5. Auflage ist gerade fertiggestellt und kann unter der Nr. BMG-G- 11077 bestellt werden über publikationen@bundesregierung.de. Am 28.11.2019 fand in Berlin ein sog. Dialogforum statt, finanziert vom BMG, über dessen Ergebnisse eine Online-Publikation auf der Webseite der GVG vorliegt [5]. Derzeit wird ein Strategiepapier entwickelt, das sich zielgerecht auf die Umsetzung der Länder − sowie der kommunalen Ebene beziehen soll. Und es wird in wichtigen Kreisen über einen Nationalen Geburtshilfegipfel nachgedacht, in dem die verschiedenen Themen und zu lösenden Aufgaben eine wahrnehmbare Bündelung finden könnten.

Haltung

Was geschieht, wenn Menschen ihre ureigenen Fähigkeiten nicht mehr leben (können), sondern alles an Fachleute delegieren können und wollen – wie eine Bahnung? Wie tief sitzen gerade so existenzielle Erfahrungen wie Schwangerschaft und Geburt? Tiefer als die meisten Erfahrungen im Leben, außer die, die traumatisch sind. Es fällt auf, dass weniger den eigenen Gefühlen geglaubt wird, sondern dass Testergebnisse Gewissheit bringen müssen. Es fällt auf, dass das Berühren des Bauches, das Horchen nach innen abgelöst wird vom Ultraschall, meistens als Babyfernsehen missbraucht – und dem Kind im Monitor zugewunken wird. Es fällt auf, dass in den diversen Fern- sehfilmen nie eine normale Geburt gezeigt wird, sondern in der Regel Komplikationen und Sectiones – das bildet. Es fällt auf, dass viel über den Wunschkaiserschnitt, den angeblich viele Frauen wollen, gesprochen wird. Was ist jedoch die Realität? Es fällt auf, dass Eltern die pädiatrische Praxen aufsuchen – nicht, weil ihr Kind krank ist, sondern um sich Gesundheit bestätigen zu lassen.

Junge Paare haben kaum noch andere familiale Modelle, als Ein- oder Zwei-Kind-Familien, die häufig nicht mehr am selben  Ort wohnen. Das heißt, den Berufsgruppen, die sich mit werdenden Eltern befassen, kommen weitere Aufgaben zu als nur die der Werteerhebung, der Diagnostik. Ihr professionelles Verhalten „bildet“ Haltung. Gerade frauenärztlich Tätige in der Praxis haben die bedeutsame Aufgabe, Frauen zu ermächtigen, den Bauch, das wachsende, dann strampelnde Kind fühlen zu fühlen. Ich weiß es ist schwer, nicht dauernd in Risikokategorien zu denken. Die Zuversicht, dass Frauen Schwangerschaft und Geburt bewältigen können, strahlen auch Sie aus! Lassen Sie uns das tun, was wir jeweils tun können! Miteinander!

Fazit

Wie stark bahnen Erfahrungen in Schwangerschaft, bei der Geburt und im Wochenbett Befähigungen von Frauen bzw. Eltern, sich selbst als aktive Gestalter zu erleben und die (neue) Familiensituation zu meistern? Das war eine leitende Frage bei der Entwicklung des nationalen Gesundheitsziels „Gesundheit rund um die Geburt“, das 2017 veröffentlicht wurde. Wir beobachten eine sich ständig steigernde Risikozuschreibung bei Schwangerschaft und Geburt. Wenig wurde darüber nachgedacht, ob und wie eine derartige Risikozuschreibung die Haltung von Frauen zum Leben, zu ihrer Verantwortung, zum „geschehen lassen“ beeinflusst. Kontrolle von vermeintlichen Risiken kann jedoch iatrogene Folgen haben, die nachhaltige Wirkung zeigen. Nicht mehr „Ich kann!“, sondern eher „Ich lass machen!“ greift um sich. Schwangerschaft ist keine Krankheit. Statt in guter Hoffnung befinden sich Schwangere heute fast durchgehend einem Zustand des Bedürfnisses nach Rückversicherung durch die ExpertInnen, die sie begleiten. Wir erleben heute die Destruktion von Fähigkeiten als Folge der Begleitung von Schwangerschaft im Medizinbetrieb.

Das nationale Gesundheitsziel nimmt eine „an Wohlbefinden und Gesundheit ausgerichtete Perspektive ein“ und dass „vorhandene Ressourcen und Potenziale (von Frauen) umfassend gefördert und eine Pathologisierung vermieden“ werden soll. Leitgedanke ist also ein positives Verständnis von Potenzial und Ermächtigung, die sog. Salutogenese. Und nicht wie sonst im Gesundheitssystem die Definition des Handelns über Risiko und Krankheitsgefährdung. Jedes der 5 Ziele ist in mehreren Teilzielen ausformuliert, für deren Umsetzung Empfehlungen formuliert wurden. Und diese sind den institutionellen AkteurInnen sowie relevanten Berufsgruppen und MultiplikatorInnen zugeordnet. Auf Seiten der GMK, GFMK und JFMK sind entsprechende Umsetzungsbeschlüsse gefasst worden.

Schlüsselwörter:
Nationales Gesundheitsziel, Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett, Salutogenese, frauenärztliche Beratung

Korrespondenzadresse:
Dipl.-Psych. Ulrike Hauffe, Ehrenmitglied der DGPFG
Bremer Landesfrauenbeauftragte a.D.
ulhauffe@t-online.de

Slide Das Nationale Gesundheitsziel „Gesundheit rund um die Geburt“: Eine Sensation in vielerlei Hinsicht Gyne 05/2020

Gyne 03/2020 – Gewalt gegen Frauen – die Schlüsselrolle der frauenärztlichen Praxis

Gyne 03/2020

Gewalt gegen Frauen – die Schlüsselrolle der frauenärztlichen Praxis

Autorin:

  C. Schumann

Einleitung
Gewalt gegen Frauen ist häufig. In der aktuellen Pandemie-Situation mit den Folgen von erzwungener Isolierung, fehlenden Rückzugsräumen und wirtschaftlicher Bedrohung scheint häusliche Gewalt zudem noch zuzunehmen. Frauenärztliche Praxen spielen eine wichtige Rolle bei der Unterstützung von Frauen, die Gewalt erfahren haben: Sie sind in vielen Fällen erste Anlaufstelle und nehmen eine Schlüsselposition die weitere Betreuung ein. Das gilt für aktuelle häusliche Gewalt ebenso wie für frühere Erlebnisse. Frauenärzt*innen sollten ein offenes Ohr haben für die Thematik, das Erlebte anerkennen sowie Zusammenhänge erkennen können zwischen erlittener Gewalt und möglichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Es ist wichtig, die Frauen je nach Bedarf zu unterstützen und an entsprechende Schutz- und Hilfsangebote weiter zu vermitteln. Es lohnt sich, dafür spezielle Fortbildungsangebote anzubieten und wahrzunehmen: Im Sinne einer Win-win-Situation erhöht sich die Chance für alle Beteiligten für ein besseres Verständnis und eine zielgerichtete Betreuung und Behandlung.

„Jede vierte Frau …“
Die Zahlen sind lange bekannt. Sie erschrecken. Die Ergebnisse einer großen und unverändert aktuellen Studie zum Ausmaß der Gewalt gegen Frauen [1], bei der > 10.000 Frauen im Alter zwischen 16 und 85 Jahren befragt wurden, belegen:
37 % der befragten Frauen haben nach ihrem 16.Lebensjahr mindestens einmal körperliche Gewalt erlebt; davon umfassten zwei Drittel mittlere bis schwere Taten, bei denen die Frau verletzt wurde und erhebliche Angst hatte,
13 % gaben an, sexuelle Gewalt durch Vergewaltigung, versuchte Vergewaltigung oder Nötigung zu sexuellen Handlungen erlitten zu haben. 58 % der Frauen berichteten über unterschiedliche Formen sexueller Belästigung,
42 % der Frauen hatten verschiedene Formen psychischer Gewalt erlebt, wie Drohungen, Verleumdungen, Kontaktverbote,
25 %, demnach jede 4. Frau, berichteten über häusliche Gewalt; darunter versteht man körperliche und/oder sexuelle Gewalt in der Partnerschaft (durch aktuelle oder frühere Partner); bei 40 % dauerte die Gewaltbeziehung länger als ein Jahr, bei 40 % sogar länger als fünf Jahre.

Die Zahlen zeigen: Gewalt gegen Frauen ist ein großes Problem. Es ist entscheidend für die Frauengesundheit und damit ist es ein wichtiges Thema für die frauenärztliche Praxis. Und das Thema ist in diesen Zeiten der weltweiten CoViD-19-Bedrohung aktueller denn je: Laut einer Pekinger Frauenrechtsorganisation war die Zahl der Betroffenen von häuslicher Gewalt, die sich während der verordneten Quarantäne an die Hilfsorganisation gewandt haben, dreimal so hoch wie zuvor [2]. Erste Erfahrungen aus telefonischen Beratungsstellen weisen darauf hin, dass in Deutschland mit einer ähnlichen Zunahme zu rechnen ist.

Gewalt hat Folgen
Gewalt hat Folgen für die allgemeine und die reproduktive Gesundheit von Frauen (Tab. 1, S. 40). Körperliche Verletzungen sind das eine: Sie müssen und können erkannt sowie versorgt werden. Für die frauenärztliche Praxis sind andere Formen von Gewalterfahrung ebenso wichtig. Früher erlebte Gewalt kann sich niederschlagen in chronischen Unterbauchschmerzen und Infektionen. Frauen, die Gewalt erfahren haben, zeigen später eher ein riskantes reproduktives Verhalten, sie werden häufiger ungewollt schwanger und leiden vermehrt unter STI und Infertilität. Sie haben mehr mit Depressionen, Ängsten, Schlafstörungen, gestörtem Selbstwertgefühl und Essstörungen zu tun. Zur Bewältigung von Bedrohung flüchten manche in Alkohol und Drogen. Bekannt ist, dass die Schwangerschaft eine besonders sensible Phase ist: Viele Frauen berichten, dass Partner erstmalig in der Schwangerschaft oder nach der Geburt gewalttätig wurden [3]. Gewalterfahrungen in der Schwangerschaft können zu Komplikationen führen, zu einem erhöhten Risiko für Früh- und Fehlgeburten, Blutungen und für Wachstumsretardierung, wie in einem umfassenden aktuellen Review erneut belegt werden konnte [4].

Die Palette der gesundheitlichen Belastung ist groß. Umso erstaunlicher ist es, dass das Thema „Gewalt“ bislang in der frauenärztlichen Weiterund Fortbildung keine wesentliche Rolle spielt. Bei einer Durchsicht von Programmen der großen gynäkologischen Fortbildungstagungen der letzten Jahre, seien es FOKO/ Düsseldorf oder regionale und überregionale DGGG-Tagungen, fällt auf, dass das Thema nahezu nicht präsent ist. Ein ähnlicher blinder Fleck scheint auch im frauenärztlichen Alltag vorzuherrschen: Obwohl Gewalterfahrungen eine große Rolle FÜR die Entstehung von Krankheit und die Stabilität der Gesundheit zeitigen, gehört es (noch) nicht zur Routine, Frauen bei der Anamnese gezielt danach zu fragen. So ergab eine Berliner Studie [5], durchgeführt in einer Erste-Hilfe-Ambulanz: Mehr als zwei Drittel der befragten Frauen Befürworten eine Frage nach Gewalt als Teil der Anamnese, aber nur 8 % aller Befragten sind jemals von ihrem Arzt/ ihrer Ärztin nach Gewalterfahrung befragt worden. Es ist, als ob Frauenärzt*innen spürten, dass sie sich bei der Begegnung mit dieser Thematik einer „Risikozone“ [6] näherten. Bei der ärztlichen Zurückhaltung spielt dabei sicher eine gewisse Scheu eine Rolle, der Frau nicht zu nahe treten zu wollen, aber auch die Unsicherheit: Wie dann weiter?

Grundsätze für die frauenärztliche Praxis
Gesichert ist: Das Wissen um eine Gewalterfahrung ist wichtig FÜR das Verständnis von Erkrankungen und Verhalten von Patientinnen und für deren medizinische Betreuung. Es gibt international anerkannte Standards, um vor allem häusliche und sexualisierte Gewalt zu erkennen und die Frauen sensibel zu betreuen.

Dazu gehören die Leitlinien der WHO zum Umgang mit Gewalt gegen Frauen [7]. Eine deutsche Leitlinie existiert (noch) nicht. Es gibt eine Stellungnahme der DGGG von 2010, die aktuell in Überarbeitung ist. Die Politik hat auf Bundesund Länderebene Aktionspläne zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen entwickelt. Aus dem großen Modellprogramm „Medizinische Intervention gegen Gewalt an Frauen“ (MIGG), das von 2008–2011 speziell FÜR den Bereich der niedergelassen Ärztinnen und Ärzte konzipiert wurde, liegen Erfahrungen vor, die in einen Implementierungsleitfaden eingeflossen sind (8).

Zusammengefasst geht es um
– das Schaffen einer traumasensiblen Atmosphäre unter Einbeziehung des gesamtem PraxisTeams,
– das Denken an Gewalt, das Wahrnehmen, Ansprechen und Anerkennen des Geschehenen,
– eine gründliche und dabei traumasensible Untersuchung,
– die Dokumentation (evtl. gerichtsfest, in Absprache mit der Frau)
– das Abklären des aktuellen Schutzbedürfnisses ebenso wie die Vermittlung von Unterstützungsangeboten.

Diese Punkte gelten ganz allgemein für den frauenärztlichen Alltag. Sie erscheinen machbar! Was im Einzelfall wirklich erforderlich ist, kann in Abhängigkeit vom Bedarf der Frau sehr unterschiedlich sein. Um eine adäquate Versorgung von Frauen zu erreichen, wird von Expertenseite eine Schulung von Gesundheitsfachkräften empfohlen [8, 9]. Das macht großen Sinn, denn letztlich führt der adäquate Umgang mit Gewalt-Betroffenen zu einer Win-win-Situation für beide: Die Frauen profitieren davon, dass ein Zusammenhang hergestellt zwischen dem, was sie erlebt haben, und ihrem Befinden und dass über das Verständnis eine Behandlung ermöglich wird. Sie werden ernst genommen und darin gestärkt, auf ihre Art einen Weg aus der Bedrohung zu finden, unabhängig davon, ob sie früher geschah oder noch andauert. Für die Behandelnden werden Beschwerden und Verhaltensweisen besser erklärlich. Sie lernen zu verstehen, dass jede Frau ihren eigenen Weg gehen muss, dass manch´ gut gemeinter Ratschlag nichts fruchtet: Es mag sein, dass die Frau trotzdem wieder zum Partner zurückgeht oder dass sie beim Alkohol bleibt. Manche unnötige Untersuchungen (wie zum Beispiel eine wiederholte Bauchspiegelung wegen chronischem Unterbauchschmerz) können unterbleiben mit einem psychosomatischen trauma-orientierten Ansatz, andere Behandlungswege öffnen sich. Die Weiterleitung von betroffenen Frauen in ein kompetentes Netzwerk – Beratungsstellen, Psychotherapeut*innen, Hebammen – kann zudem die ärztliche Praxis entlasten.

Traumasensible Atmosphäre
Das Thema Gewalt anzusprechen ist nicht einfach, weder für die Frau noch für die Fachleute im Gesundheitssystem. Leichter wird es, wenn der Frau schon im Wartebereich signalisiert wird: Hier kennt man das Thema. Das erreicht man z. B. mit Postern vom Hilfetelefon gegen Gewalt, mit einem Aushang über das örtliche Frauenhaus und mit entsprechenden Info-Kärtchen – letztere am besten im Toilettenbereich, wo sie unbemerkt eingesteckt werden können. Wichtig ist die Fortbildung des Praxis-Teams: Ein später Beginn der Schwangeren-Vorsorge, ein Nicht-Erscheinen zum vereinbarten Termin, ein besonders „aufmerksamer“ Partner, der der Frau nicht von der Seite weicht, können unspezifische Hinweise dafür sein, dass „etwas nicht stimmt“, dass Gewalt im Spiel ist. Wenn die Mitarbeiterinnen dafür sensibilisiert sind, können sie adäquat verständnisvoll reagieren und vor allem die Ärzt*innen vorab informieren.

Ansprechen, Wahrnehmen, darüber Sprechen
Im Praxis-Alltag gibt es unterschiedliche Situationen: Häufiger als Frauen, die offensichtlich durch Gewalt verletzt wurden oder verstört sind, sind die vielen, denen auf den ersten Blick nichts anzumerken ist. Wenn uns als Ärzt*innen tatsächlich klarer bewusst ist, wie häufig Gewalt gegen Frauen ist, dass sie alle gesellschaftlichen Schichten betrifft und schwerwiegende gesundheitliche Folgen haben kann, fällt es leichter, im Standard-Anamnese-Gespräch offen danach zu fragen: „Ich weiß, dass viele Frauen Gewalt erlebt haben. Daher frage ich alle Patientinnen danach. Es ist wichtig, davon zu wissen, weil erlebte Gewalt gesundheitliche Folgen haben kann.“ Die Erklärung, warum die Frage erfolgt, kann es der Frau erleichtern, davon zu berichten: Es geht nicht um ein „abhaken“, sondern darum, dass die Frage mit ihrer Gesundheit oder eventuellen Beschwerden etwas zu tun hat. Und auch Frauen, die die Frage zunächst verneinen, können so ermutigt werden, bei späterer Gelegenheit auf das Thema zurück zu kommen. Ob es sinnvoll ist, im Sinne eines Screenings die Frage nach Gewalt in den vielerorts üblichen Anamnesebogen zu integrieren, oder ob man besser individuell fragen sollte, wird unterschiedlich diskutiert [10]. Auch wenn die Frau schon länger bekannt ist, macht es Sinn, gelegentlich das Thema wieder anzuschneiden. Das gilt besonders für die Zeit der Schwangerschaft und nach der Geburt: Es ist bekannt, dass Frauen oftmals gerade dann erstmalig Gewalt durch den Partner erleben [3].

Wichtig ist in jedem Fall, dass der Arzt/ die Ärztin vorbereitet ist, wie sie mit einer Bejahung der Frage umgeht. Die Aufdeckung des Fakts ist allein noch nicht hilfreich, wohl aber das empathische Zuhören und Ernstnehmen. Von zentraler Bedeutung auch im Rahmen einer späteren Bearbeitung des Traumas ist die „Anerkennung durch einen Dritten, durch eine fördernde Umwelt“ [6]. Wichtig ist dafür eine vertrauliche Gesprächsatmosphäre unter vier Augen, vor allem ohne den „übermäßig aufmerksamen“ Partner, der mit seiner Fürsorge verdeckt, dass er sich Sorgen macht darüber, was die Frau berichten könnte. Der Rahmen des Gesprächs muss abgesteckt werden. Die betroffene Frau sollte wissen: Ihre Antworten werden vertraulich behandelt, sie werden nicht angezweifelt und auch nicht weitergeleitet. Es geht nicht um eine vertiefte Exploration oder gar um eine Schuldzuweisung, sondern um eine stärkende Bestandsaufnahme: Geht es um frühere Gewalterlebnisse, die eventuell jetzt noch eine Rolle spielen können? Hat die Frau akut Schutzbedarf? Wie kann sie im Sinne des Empowerments [11] darin unterstützt werden, selbst Entscheidungen über ihre Zukunft zu treffen? Macht sie sich Sorgen um die Kinder? Braucht sie psychologische/ psychotherapeutische Unterstützung? Dafür ist es wichtig, entsprechende Angebote und Netzwerke zu kennen (s. unten).

Die Empfehlungen zur Ersthilfe der WHO [9] im Kontext von häuslicher und sexueller Gewalt fokussieren auf den Handlungsschritten: „Listen – Inquire – Validate – Enhance safety – Support“. (Gut übersetzt in der deutschen Ausgabe: „Zuhören – Bedürfnisse und Sorgen erfragen – Bestätigen – Sicherheit erhöhen – Unterstützen“.)

Manchmal gibt es auch klinische Auffälligkeiten, die weitere Fragen nahelegen. Bestimmte körperliche Verletzungen können Hinweise sein auf Gewalterfahrungen. Dazu gehören Verletzungen in unterschiedlichen Abheilungsstadien, besonders an den Unterarmen und Händen (Abwehrverletzungen), in Gesicht und Hals. Dann sollte möglichst konkret gefragt werden: „Ich erlebe häufig, dass solche Verletzungen von einer anderen Person verursacht wurden. Kann das sein, hat Sie jemand geschlagen/ geschubst/…?“ Auch seelische Veränderungen können der Anlass für eine Vermutung sein: „Sie wirken heute verändert, sehr unruhig und bedrückt. Gibt es etwas, dass Ihnen besondere Sorgen macht, haben Sie Angst vor jemandem?“ Natürlich ist zu respektieren, wenn die Frau solche Fragen verneint oder vage Erklärungen angibt. Sie kann ihre Gründe dafür haben, hat vielleicht Angst vor dem Partner oder den Konsequenzen für die Familie, wenn sie etwas offenbart. Es ist gut, als Arzt/Ärztin die eigenen Sorgen mitzuteilen: „Ich mache mir Gedanken um Ihre Gesundheit, Ihre Sicherheit. Sie können wiederkommen, wir versuchen Ihnen hier weiter zu helfen. Ich möchte Ihnen gerne eine Notfallkarte mitgeben, mit Telefonnummern, an die Sie sich wenden können, z. B. das Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen.“

Traumasensible gynäkologische Untersuchung / Umgang mit Dissoziation
Ganz unabhängig davon, ob eine Gewalterfahrung bekannt ist, sollte natürlich jede gynäkologische Untersuchung „sensibel“ sein. Denn auch wenn diese Untersuchung für uns als Ärzt*innen Routine ist, bedeutet sie für jede Frau einen Eingriff in ihre Intimsphäre. Wann sonst oder wem sonst zeigt sie sich nackt mit auseinander gespreizten Beinen? Studien belegen, dass jede zweite Frau die Untersuchung als unangenehm bis sehr unangenehm empfindet, und dass nicht wenige deshalb nicht oder nur selten zu Früherkennungs-Untersuchungen gehen [12].

Eigentlich ist es einfach, traumasensibel zu untersuchen, manches wirkt sogar banal. Die Kunst ist, sich das Vorgehen als Standard anzugewöhnen: Die Zustimmung der Frau für die Untersuchung einholen – ihre Scham- und Schmerzgefühle respektieren – ein Stopp-Signalvereinbaren, das respektiert wird – jeden Untersuchungsschritt ankündigen und erklären – im (Blick)-Kontakt mit der Frau bleiben – Befunde kurz erklären mit dem Hinweis auf eine ausführliche Erörterung nach Abschluss der Untersuchung [13]. Ob eine Arzthelferin bei der Untersuchung anwesend sein soll bzw. kann, sollte vorab mit der Frau geklärt werden. Auf keinen Fall sollte unangekündigt eine dritte Person während der Untersuchung den Raum betreten.

Es kann vorkommen, dass ein Untersuchungsschritt oder sogar ein Satz als sogenannter Trigger wirkt, als Auslöser für unerwartete Reaktionen. Die Berührung in der Scheide, die Hand auf dem Bauch, das Einführen des Ultraschall-Stabs, Sätze wie „es ist gleich vorbei“ / „es tut nicht weh“ – alles kann alte Emotionen wecken, die mit der Gefahrensituation verbunden sind. Das kann sich mit körperlichen Reaktionen wie Schwitzen und unregelmäßigem Atmen ankündigen. Manchmal gelingt es, durch bewusstes Abbrechen der Untersuchung die Frau zu konsolidieren. Manchmal wird sie so schnell überflutet, dass der Körper mit Dissoziation reagiert und sich so vor den anflutenden Emotionen schützt: Die Frau wirkt abwesend, fast bewusstlos, sackt in sich zusammen, die Augen blicken ins Leere. Sie ist „weggetreten“. Diese Form des Selbstschutzes kann erschrecken, sie ist aber nicht gefährlich. Wichtig ist, die einfachen Methoden zu kennen, mit deren Hilfe man die Frau in die Realität „zurückholen“ kann [14]: „Frau Maier, ich bin Frau Dr. Müller, ihre Ärztin; Sie sind in meiner Praxis.“ „Ich berühre jetzt vorsichtig Ihren rechten Arm, können Sie das fühlen?“ „Bitte zählen Sie rückwärts von 10 bis 1“. Nach dem Erlebnis wird die Frau erschöpft sein und braucht vielleicht Hilfe, sich zu sortieren. Besonders wenn sie so eine Reaktion bislang nicht kannte, sollte sie ihr erklärt und sie auf die Möglichkeiten einer Traumatherapie hingewiesen werden.

Dokumentation
In vielen Artikeln zum Umgang mit gewaltbetroffenen Menschen findet sich der Hinweis auf die erforderliche „gerichtsfeste Dokumentation“: Damit gemeint sind Fotos der Verletzungen mit Maßstab, eine exakte Beschreibung der Befunde und Einzeichnung der Befunde in KörperSchemata. Das kann sehr wichtig sein für eine spätere juristische Verfolgung der Tat. Auch wenn es dafür gute Hilfen gibt, z. B. die Med-DocCard© (zu beziehen über www. frauenundgesundheit-nrw.de/dokumentationshilfen/) oder die Dokumentationsbögen des Fachverbands S.I.G.N.A.L. (www.signal-intervention.de), schreckt der damit verbundene Aufwand erfahrungsgemäß manche Kolleg*innen ab. Manche/r fragt sich: Gehört das zu meinen ärztlichen Aufgaben? Neben der eigenen fachlichen Unsicherheit im Kontakt mit der „Risikozone“ ist das aus meiner Erfahrung für nicht wenige ein weiterer Grund, sich der Thematik Gewalt insgesamt nicht anzunehmen.

Dabei dokumentieren wir doch alle täglich ganz selbstverständlich, was wir erfahren, finden und machen. In vielen Fällen genügt genau das auch für die Konsultation von Frauen, die Gewalt erlebt haben. Es geht oft um frühere Erfahrungen, die jetzt einen chronischen Schmerz, eine Essstörung, eine unzureichende Kontrazeption oder eine depressive Grundstimmung miterklären können. Da geht es vorrangig um die Bewältigung der gesundheitlichen Folgen, weniger um die juristische Verfolgung. Wenn die Frau in solchen Fällen eine gerichtsfeste Dokumentation benötigt, d. h. ein exaktes Protokoll ihrer Angaben, wird der Impuls dazu von der Frau selbst ausgehen.

Anders ist es, wenn die Frau verletzt ist, akut Gewalt erlebt oder bedroht wird, wie bei häuslicher Gewalt. Dann sollte sie in jedem Fall darüber informiert werden, dass sie ein Recht hat, die Tat/den Täter anzuzeigen. Und dass dafür ihre Angaben und alle Befunde exakt dokumentiert werden müssen. Sie muss dieser „gerichtsfesten Dokumentation“ ausdrücklich zustimmen, kann sie aber auch ablehnen (was wiederum dokumentiert werden sollte). Für diese Situation ist dann die Digital-Kamera erforderlich, die Dokumentationsbögen incl. Körperschema sollten griffbereit sein. Das Ausfüllen erfordert einigen Zeitaufwand und durchaus auch Übung und Kompetenz. Auch eine online-Dokumentation ist möglich (Anleitung unter https://gobsis.de/). Sicherheit gewinnt man auf speziellen Fortbildungen, wie sie z. B. von den Beratungsstellen S.I.G.N.A.L/ Berlin und GESINE-Netzwerk Gesundheit.EN/ Schwelm angeboten werden.

Abklären von Schutzbedürfnis / Vermitteln von Unterstützungsangeboten
Ärztliche Praxen sind oft die erste Anlaufstelle für Frauen, die (häusliche) Gewalt erleben oder erlebt haben [15]. Der Grund: Sie sind einfach erreichbar und wecken kein Misstrauen bei anderen Personen. Ärzt*innen genießen außerdem ein hohes Vertrauen, dass sie ihnen Anvertrautes nicht weitergeben („Arztgeheimnis“) und dass sie Hilfe wissen [16].

Genau das ist die Rolle, die frauenärztliche Praxen übernehmen können. Zuhören, ernst nehmen, bestätigen, dass Unrecht geschieht oder geschehen ist, die Frau unterstützen und auf ihrem Weg der Auseinandersetzung stärken. Das kann oft lange dauern. Viele gewaltbetroffene Frauen durchlaufen mehrere Phasen der Reflektion über das, was ihnen zustößt. Über längere Zeit kann das Verhalten des gewalttätigen Partners als „absichtslos“ erlebt werden, „nur wenn er betrunken ist“, oder als Reaktion auf eigene Fehler. Man nennt das auch den „Kreislauf der Gewalt“: Spannungsaufbau – akute Misshandlungen – “Ruhe und Reue“ – Spannungsaufbau – … Bis aus ersten Erwägungen für Veränderungen tatsächlich Handlungen resultieren, findet oft ein langwieriger Prozess statt. Das zu wissen und einzukalkulieren, dass Hilfsangebote nicht angenommen werden, kann ärztlichen Frustrationen vorbeugen. Ähnlich schwierig kann es für eine Frau sein, sich bewusst zu machen, dass gesundheitliche Probleme wie z. B. chronische Unterleibsschmerzen oder Vaginismus auch mit früheren Gewalterfahrungen zu tun haben können, und dass zur Bewältigung eine psychotherapeutische Unterstützung sinnvoll sein kann.

Frauenärzt*innen sollten entsprechend wissen, wo Unterstützung zu finden ist. Überregional und rund um die Uhr ist das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ erreichbar, an 365 Tagen im Jahr unter der Telefonnummer 08000 116 016 und online unter www.hilfetelefon.de. Qualifizierte Beraterinnen informieren und beraten gewaltbetroffene Frauen sowie Personen aus deren sozialen Umfeld– kostenlos, anonym und vertraulich. Bei Bedarf können Beratungen in 17 Fremdsprachen sowie in Deutscher Gebärdensprache und in Leichter Sprache durchgeführt werden. Kärtchen mit den Kontaktdaten des Hilfetelefons sollten in jeder frauenärztlichen Praxis so platziert sein, dass Frauen sie unauffällig mitnehmen können. Eine weitere wichtige Informationsquelle ist die Plattform des bff e.V. (Bundesverbands Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe) www.frauen-gegengewalt.de/de/hilfe-beratung.html, auf der sich bundesweit über 180 Frauennotrufe und Frauenberatungsstellen mit aktuellen Informationen zusammengeschlossen haben. Auch auf den schon erwähnten Internetseiten der Fachberatungsstellen S.I.G.N.A.L (www.signal-intervention.de) und gesine (https://www.gesine-intervention.de) finden sich hilfreiche Informationen für Betroffene.

Darüber hinaus ist es gut, in der Praxis eine Liste mit regionalen Angeboten zur Hand zu haben über Beratungsstellen und Schutzangebote, die betroffene Frauen mitnehmen können. Entsprechende Informationen kann man mancherorts über einen „Runden Tisch gegen Gewalt“, alternativ auch über die Polizei erhalten. Die eigene Integration in entsprechende Netzwerke ermöglicht einen persönlichen Kontakt zu Fachleuten (Beraterinnen, Hebammen, Psychotherapeut*innen), die sich speziell in der Betreuung von Frauen mit Gewalterfahrung auskennen. So können Frauen direkt an entsprechende Expertinnen vermittelt werden. Suchmaschinen für Angebote in der Nähe sind: www.frauengegen-gewalt.de/hilfe-vor-ort.html undwww.frauenhauskoordinierung.de/ hilfe-bei-gewalt/frauenhaussuche.

Spezifische Angebote auch für chronische Folgen von Gewalt (im Sinn des posttraumatischen Belastungssyndroms, PTBS) sind zusätzlich bei den psychosomatischen Versorgungs-Netzwerke zu finden, die unter anderem in Berlin, Hamburg, Dresden, Köln, Frankfurt existieren (http://dgpfg.de/ispog/kooperationen/).

Fazit
Gewalt hat gesundheitliche Folgen. Das gilt für Erlebnisse in der Kindheit und Jugend sowie in der aktuellen Lebenssituation. Viele Frauen sind davon betroffen. Frauenärzt*innen kommt eine Schlüsselrolle zu, indem sie Frauen darauf ansprechen, ihnen zuhören, Anzeichen für Gewalt erkennen, Zusammenhänge zwischen Gewalt und gesundheitlichen Folgen bei Diagnostik und Therapie einbeziehen, Frauen stärken, ihre Schutzbedürfnisse abklären und sie weiter vermitteln. Ein weites Feld! Mehr Aufmerksamkeit für die Thematik und mehr spezifische Angebote auf frauenärztlichen Fach-Tagungen sind wünschenswert.

Schlüsselwörter: Gewalt gegen Frauen, häusliche Gewalt, Auswirkungen von Gewalterfahrungen, Ersthilfe, Schlüsselfunktion der frauenärztlichen Praxis

Korrespondenzadresse:
Dr. med. Claudia Schumann
Frauenärztin/ Psychotherapie
Mitglied im Beirat der DGPFG
Hindenburgstr. 26
37154 Northeim
www.dr-claudia-schumann.de

Slide Gewalt gegen Frauen - die Schlüsselrolle der frauenärztlichen Praxis Gyne 03/2020

Literatur:

  1. Müller U, Schröttle M. Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland. Eine repräsentative Untersuchung zur Gewaltgegen Frauen in Deutschland. 2004, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ)
  2. Kretschmer, F. Zu Hause gefangen, taz vom 9.3.2020
  3. Gabrys M. Sexuelle und körperliche Gewalterfahrungen Risikofaktor in Gynäkologie und Geburtshilfe. 2019; 52 (12): 951–962
  4. Pastor-Moreno G et al. Intimate partner violence and perinatal health: a systematic review. BJOG 2020; Vol.127 537-547: DOI: 10.1111/1471-0528.16084
  5. Brzank P et al. Häusliche Gewalt gegen Frauen: Gesundheitsfolgen und Versorgungsbedarf – Ergebnisse einer Befragung von Erste-Hilfe-Patientinnen im Rahmen der S.I.G.N.A.L.-Begleitforschung. Gesundheitswesen 2004; 66(3): 164–169
  6. Kreuzer-Haustein U. Trauma und die innere Arbeit des AnalytikersZur Verdinglichung des Traumabegriffs und zur Anerkennung des Traumas. In: Baumann, J. et al (Hrsg.): Wenn Zeit nicht alle Wunden heilt. 2020; Klett-Cotta Stuttgart
  7. WHO (2013) Responding to intimate partner violence and sexual violence against women: WHO clinical and policy guidelines. Dt. Ausgabe: Umgang mit Gewalt in Paarbeziehungen und mit sexueller Gewalt gegen Frauen. Leitlinien der WHO für Gesundheitsversorgung und Gesundheitspolitik. © S.I.G.N.A.L. e.V. Lektorat: M. Winterholler, K. Wieners, H. Hellbernd
  8. Sellach B et al. Implementierungsleitfaden zur Einführung von Interventionsstandards in die medizinische Versorgung von Frauen. BMFSFJ 2011; Art.Nr. 4BR82
  9. WHO (2014). Health care for women subjected to intimate partner violence or sexual violence – A clinical handbook; Deutsche Übersetzung: Gesundheitliche Versorgung von Frauen, die Gewalt in der Paarbeziehung oder sexuelle Gewalterfahren; ©S.I.G.N.A.L. e.V. 2014; Übersetzung und Lektorat: Karin Wieners, Marion Winterholler
  10. Steffens Vorgehen bei häuslicher Gewalt. FRAUENARZT 1-2015
  11. Campbell JC. (Hg.) (1998) Empowering survivors of abuse: Health care for battered women and their children. Sage Series on Violence Against Women. Thousand Oaks, London, New Delhi
  12. Gras C. Konzepte zur Verbesserung der gynäkologischen Untersuchung. FRAUENARZT 3/2019: 168–172
  13. Schumann C. Die frauenärztliche Untersuchung: Umgang mit dem Eingriff. Frauenheilkunde mit Leib und Seele. Psychosozial-Verlag 2017; 45–49
  14. Büttner M. Sexuelle Störungen nach sexueller Gewalt. Gyne 4/2019: 28 – 33
  15. Brzank P. Wege aus der Partnergewalt. Frauen auf der Suche nach Hilfe. Wiesbaden 2012; Springer VS.
  16. Feder G. et al. Women exposed to intimate partner violence: expectations and experiences when they encounter health care professionals: a metaanalysis of qualitative studies. Archices of Internal Medicine, 2006. 166: 22–37

Hilfetelefon “Gewalt gegen Frauen”

Hilfetelefon “Gewalt gegen Frauen”

Gewalt gegen Frauen hat viele Facetten und betrifft Frauen aller Altersgruppen und sozialer Hintergründe – mit und ohne Migrationserfahrung. Studien zeigen, dass Frauen im Kontext von Flucht und Migration häufiger von Gewalt betroffen sind. Gleichzeitig ist für sie der Zugang zu den bestehenden Hilfe- und Unterstützungseinrichtungen oftmals erschwert. Aus diesem Grund ist die Beratung beim Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ in 17 Fremdsprachen möglich, unter anderem auf Persisch, Arabisch, Türkisch und Russisch. In der eigenen Muttersprache fällt es vielen Betroffenen leichter, über das Erlebte zu sprechen.

Helfen Sie uns, betroffene Frauen, Personen in deren sozialem Umfeld sowie Fachkräfte auf das mehrsprachige Angebot des Hilfetelefons „Gewalt gegen Frauen“ aufmerksam zu machen:

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Wir danken für Ihren Einsatz und Ihre Unterstützung des Hilfetelefons „Gewalt gegen Frauen“!

Covid im sowohl als auch

Covid im sowohl als auch

Weil wir die Demut vor dem Großen verlernt haben,

macht uns das Kleine gerade ganz klein.

Aber eben auch nachdenklich.

Die Welt  hält inne

Klima, Krieg und Kapitalismus nehmen sich

oder bekommen eine Verschnaufpause.

Solidarität im neuen Gewand.

Globalität neu gedacht.

Quarantäne für Leib und Seele.

Und dann gibt es noch diese ganz kleinen Mutmachgeschichten:

Eine Frau im z.n. Sektio mit schlechten Erfahrungen und negativem familiärem Mindset besteht ursprünglich auf einem geplanten Kaiserschnitt. Sie kommt vorher mit eigenen Wehen. Gerade in Covidzeiten wird sie noch einmal auf die möglicherweise großen Vorteile einer vaginalen Geburt hingewiesen. Sie entscheidet sich selbstbestimmt gegen den Kaiserschnitt und entbindet allein (der Mann muss das 1. Kind versorgen) mit großer Hebammenunterstützung spontan. Ein seltener – gerade jetzt so erfreulicher- Glücksfall.

Ich wünsche ihnen

– ähnliche Erlebnisse

– Machbarkeit, richtige Entscheidungen und Pausen in schwierigen Zeiten

– dennoch Frohe Ostern

Bleiben sie gesund!

Herzlichen Gruß

Wolf Lütje

Aktuelle Informationen und Links im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie

Bei Geburten sind auch in der Corona-Krise die Partner gefragt

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Presseinformation der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Frauenheilkunde
und Geburtshilfe (DGPFG): Bei Geburten sind auch in der Corona-Krise die Partner gefragt

Dresden, 30. März 2020.

Trotz vorliegenden klaren Statements von gynäkologischen Fachgesellschaften, dass nahe Angehörige auch in Corona-Zeiten wichtig sind zur Geburtsbegleitung, berichten Mütter- und Väter-Organisationen von vielfältigen Missachtungen dieser Empfehlung. Die Deutsche Gesellschaft für Frauenheilkunde und Geburtshilfe (DGPFG), der weltweit größte Zusammenschluss psychosomatisch arbeitender FrauenärztInnen, tritt vehement für die begleitende Unterstützung der Frau durch einen engen Angehörigen bei der Geburt und in den folgenden Tagen ein.

Dafür gibt es viele Gründe. Familien bilden immunbiologisch eine Einheit. Sie zu trennen, macht schon deswegen keinen Sinn. Gerade jetzt, unter zunehmend erschwerten Rahmenbedingungen, sind Partner unverzichtbare Begleiter ihrer Frauen bei der Geburt, selbst wenn das bislang wissenschaftlich nicht eindeutig belegt ist: Sie sind nicht nur die “Stehlampe des Vertrauten” (Zitat eines Vaters), sondern Garant für Betreuung, Unterstützung und Hilfe. Sie schließen wahrscheinlich zunehmende Personallücken, betreuen Frauen im häuslichen Umfeld, aus dem sie möglichst spät zur Klinik aufbrechen sollten, und ergänzen die Wochenbettbetreuung nach rascher Entlassung. Ängste von Schwangeren, die von Fachleuten zunehmend beobachtet werden, werden durch sie kompensiert und eine mögliche Isolation überwunden.

Dr. Wolf Lütje, Chefarzt einer Frauenklinik in Hamburg: “Es ist zu befürchten, dass erzwungene ‘Alleingeburten’ in den Kliniken pathologische, interventionsreiche und mitunter traumatisierende Verläufe begünstigen.” Gerade jetzt wären aber physiologische Geburtsverläufe wünschenswert, weil sie auch Garant für ungestörte Bonding- und Stillphasen sind. Die positiven immunologischen Effekte für das Neugeborene sind bekannt und in diesen Zeiten unabdingbar.

Psychisch vorbelastete Frauen mit Ängsten, Traumatisierungen und Depressionen sind zudem besonders gefährdet und ohne Präsenz und Ansprache einer vertrauten Person vermehrt Panikattacken ausgeliefert.

Auch im Wochenbett spricht nichts dagegen, auf der Station “abgeschlossene Familienzimmer” zu bilden. Gerade die zuletzt genannte besonders vulnerable Gruppe von Frauen braucht die durchgehende Unterstützung einer vertrauten Person.

Wenn Kliniken Partnern den Zutritt verweigern, sollten sich Familien Unterstützung und Hilfe bei ihrem Frauenarzt/in oder Hebamme holen. Zudem kann auf die entsprechende Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG), der maßgeblichen gynäkologischen Fachgesellschaft in Deutschland, verwiesen werden. Auf der Homepage der DGPFG können aktuelle Informationen abgerufen werden. Psychisch Belastete können dort auch psychotherapeutisch arbeitende Mitglieder der DGPFG finden. Viele KollegInnen bieten jetzt auch Telefon- und Videoberatung an.

Ansprechpartnerinnen für die Presse

Dr. med. Claudia Schumann
Mitglied des Beirats der DGPFG
Claudiaschumann@t-online.de
M +49 170 7322580

 

Das Corona-Virus – Eine biopsychosoziale Herausforderung

Das Corona-Virus – Eine biospsychosoziale Herausforderung

 

Liebe Mitglieder der DGPFG !

Corona ist eine biopsychosoziale Herausforderung ungeahnter Art. Obwohl es vordergründig um Virologie, Epidemiologie und Intensivmedizin geht:

Pandemische Panik und Verunsicherung betreffen vor allem  die von uns betreuten Familien aber auch ältere Patientinnen und Krebsbetroffene.

Da ist die psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe in Niederlassung und Klinik unfassbar gefordert. Für ihren diesbezüglich vielfältigen Einsatz möchte ich ihnen allen namens Vorstand und Beirat danken – verbunden mit der Hoffnung dass Sie, ihre Familien und ihre Patientinnen die Krise und oft nicht vermeidbare Infektion am Ende ganzheitlich gesund überstehen. Auf meiner Terrasse brennt jetzt dauerhaft eine Kerze – Symbol für Glaube, Liebe, Hoffnung – eben dem, was auch hilfreich ist oder oft so empfunden wird.

In diesem Sinne grüßt sie in herzlicher Verbundenheit

Wolf Lütje

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